Soldatenseelsorge - eine Reform vor ihrem Scheitern

Der ostdeutsche Sonderweg der evangelischen Soldatenseelsorge (1990-1996)
von Ines-Jacqueline Werkner, 2002

Ausgangssituation

Mit der deutschen Vereinigung am 3. Oktober 1990 war auch der Weg für den Zusammenschluss der evangelischen Kirchen in West und Ost frei geworden. Als einer der kritischsten Punkte erwies sich - neben dem staatlichen Kirchensteuereinzugsverfahren und dem Religionsunterricht an öffentlichen Schulen - die westliche Praxis der Militärseelsorge. Die östlichen evangelischen Landeskirchen weigerten sich, den Militärseelsorgevertrag von 1957 zu übernehmen.

Diese Diskussion um die Militärseelsorge entstand jedoch nicht erst mit der deutschen Vereinigung. Seit ihrem Neuaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg wird über sie gestritten. Das war und ist insofern zwangsläufig, als sich dieses kirchliche Arbeitsfeld direkt an der Schnittstelle von Staat, Kirche und Militär befindet und damit sehr sensible Bereiche berührt.

Wie schon Anfang der 50er Jahre so ist auch heute insbesondere der Bundesbeamtenstatus der Militärpfarrer, die Stellung des Evangelischen Kirchenamtes für die Bundeswehr als Bundesoberbehörde sowie die Konstruktion und fehlende vertragliche Grundlage des Lebenskundlichen Unterrichtes der Kritik ausgesetzt. Dabei wird die institutionelle Verknüpfung von Staat und Kirche nicht nur um der Unabhängigkeit und Kirchlichkeit der Militärseelsorge willen abgelehnt, auch die innerkirchliche Akzeptanz dieses Arbeitsfeldes steht zur Disposition.

Der Bericht des Ausschusses zur künftigen Gestaltung der Militärseelsorge (1993)

Nach einer ersten pragmatischen und in enger Bezogenheit zu den Ortskirchengemeinden wahrgenommenen ostdeutschen Übergangsregelung der Seelsorge an Soldaten in den neuen Bundesländern von 19911) hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) einen Ausschuss zur künftigen Gestaltung der Militärseelsorge eingesetzt. Dieser Ausschuss stellte in seinem Bericht 19932) neben den „Gemeinsamen Grundsätzen" zwei Denkmodelle „A" und „B" vor. Dabei stellten beide Modelle jeweils in sich schon Kompromisslösungen dar:

Das Modell A setzte innerhalb des Militärseelsorgevertrages auf eine Vertiefung der kircheneigenen Strukturen und Zuständigkeiten. Ausgehend davon, dass sich der Militärseelsorgevertrag im Westen bewährt habe und die Freiheit des kirchlichen Auftrages der Militärpfarrer garantiert sei, sollte der bisherige Bundesbeamtenstatus der Militärpfarrer beibehalten werden. Die theologische Arbeit und Begleitung der Militärseelsorge sollte durch eine zusätzliche Organisationseinheit, die dem Militärbischof unterstellt und dem Kirchenamt der EKD zugeordnet wäre, vertieft werden.

Das Modell B ging dagegen davon aus, dass der gegenwärtige Status der Militärseelsorge, insbesondere der Bundesbeamtenstatus der Pfarrer, innerhalb der gesamtdeutschen evangelischen Kirche nicht konsensfähig sei und plädierte für einen neuen Staatskirchenvertrag. Dabei sollten die Militärpfarrer in ein unmittelbar kirchliches Dienstverhältnis überführt und das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr in das Kirchenamt der EKD eingegliedert werden.

In der Folge hatten die Synoden der Gliedkirchen über die Modelle A und B abzustimmen. Mitte 1994 lagen die meisten Stellungnahmen vor. Die Mehrzahl der Gliedkirchen - dazu gehörten auch alle östlichen Landeskirchen - entschied sich für Modell B, d.h. für einen neuen Staatskirchenvertrag. Der Rat der EKD schloss sich ebenfalls diesem Votum an.3

Die Entscheidung von Halle 1994

Nun war es an der Synode der EKD, definitiv über die Modelle A und B abzustimmen. Entgegen allen Erwartungen erfolgte auf der Synode in Halle vom 6. bis 11. November 1994 keine Abstimmung für eines der beiden im Ausschuss erarbeiteten Modelle. Da sich die Landeskirchen Hannovers und Bayerns weigerten, sich einer Mehrheitsentscheidung zu fügen und letztere sogar mit dem Ausschluss aus der EKD drohte, beschloss die Synode einen auf Antrag des Synodalen Prof. Dr. Trutz Rendtorff zurückgehenden Kompromiss: Nach jeweiliger Entscheidung der zuständigen Landeskirche sollten auch kirchliche Dienstverhältnisse möglich sein.4 - Welche inhaltliche Dimension verbirgt sich hinter diesem Synodenbeschluss? Aufgegeben wurde in einem wichtigen Punkt die Rechtseinheit auf dem Gebiet der EKD zugunsten der Wahlmöglichkeit zwischen zwei Lösungen. Damit ist man erstmals von dem Bemühen um eine rechtlich einheitliche Regelung der Militärseelsorge für Ost und West abgerückt. Mit dem Wegfall der bis dahin geltenden Prämisse hat man sowohl die Synodenbeschlüsse der letzten Jahre als auch die Arbeit des Ausschusses zur künftigen Gestaltung der Militärseelsorge für null und nichtig erklärt. In diesem Sinne reagierte auch der damalige Ratsvorsitzende der EKD Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt: "Was mich beschwert, gestatten Sie, dass ich das sage, ist der Eindruck bei manchen Voten, als hätte der Rat den Beschluss, der vor einem Jahr gefasst wurde, gar nicht so ernst nehmen dürfen, wie er ihn ernst genommen hat. Natürlich gibt es Optionen für A oder B. Aber beide Optionen - das war die Ausgangslage vor einem Jahr - waren in der Weise auf einem Konsens gegründet, der erwarten ließ, dass es in unserer Synode möglich ist, auch dort, wo A oder B die Mehrheit gewinnt, ein Prozess des synodalen Zusammengehens die Folge sein kann. Wenn B in der Weise unmöglich ist, wie es heute in manchen Voten dargestellt wurde, dann hätte die Synode diese Option nicht als Alternative in den Konsens aufnehmen dürfen."5

Dieser Synodenbeschluss von Halle, der die ganze Zerrissenheit der EKD bezüglich der Militärseelsorge verdeutlicht, konnte im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung in zwei Richtungen tendieren: Einmal versprachen sich die Verfechter des bestehenden Militärseelsorgevertrages von diesem Beschluss langfristig eine gewisse Sogwirkung, zumal bereits in Halle von einer östlichen Gliedkirche, der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, deutliche Signale ausgingen, zu erwägen, im Laufe der Zeit vielleicht doch noch dem Militärseelsorgevertrag zuzustimmen. Zum anderen witterten aber auch einige westliche Gliedkirchen die Chance, sich anhand dieses Beschlusses wieder aus dem alten Militärseelsorgevertrag lösen zu können.

In den darauffolgenden Gesprächen mit dem Staat (1995) weigerte sich die Bundesregierung jedoch, den Militärseelsorgevertrag entsprechend dem Synodenbeschluss von Halle zu ändern. Der Militärseelsorgevertrag habe sich als Grundlage einer optimalen seelsorgerlichen Betreuung bewährt. Zudem stelle er die Gleichbehandlung zwischen evangelischen und katholischen Christen in der Bundeswehr sicher. Lediglich für den Bereich der östlichen Landeskirchen bot die Bundesregierung weitere Gespräche für eine Zwischenlösung an, um die aus ihrer Sicht unbefriedigende Situation der Seelsorge an evangelischen Soldaten in den neuen Bundesländern zu verbessern.6

Die Rahmenvereinbarung über die evangelische Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern

Als Ergebnis dieser Staat-Kirche-Gespräche entstand die Rahmenvereinbarung über die evangelische Seelsorge in der Bundeswehr im Bereich der neuen Bundesländer vom 12. Juli 1996.7 Diese Rahmenvereinbarung gilt ausschließlich in den neuen Bundesländern und basiert auf der Grundlage, dass der Militärseelsorgevertrag dort aufgrund der Weigerung der ostdeutschen Landeskirchen nicht gilt. Auch terminologisch erfolgt eine Abgrenzung zum Militärseelsorgevertrag. So wird die Bezeichnung "Militärseelsorge" konsequent gemieden; man spricht hier von der "Seelsorge in der Bundeswehr".

Auch wenn in der Rahmenvereinbarung deutlich andere Akzente gesetzt wurden, so ist doch die Konzeption dieser Vereinbarung stark von den Strukturen des Militärseelsorgevertrages geprägt. Viele Punkte der Rahmenvereinbarung sind mit denen des Militärseelsorgevertrages weitgehend kongruent, wie beispielsweise:

- die Leitung der Militärseelsorge/Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern durch den Militärbischof,

- die Einsetzung eines Wehrbereichsdekans, der gemäß der Rahmenvereinbarung die Amtsbezeichnung "Bevollmächtigter für die evangelische Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern" trägt,

- der Verweis auf den Militärseelsorgevertrag bei der Beschreibung der personalen Seelsorgebereiche und der Aufgaben der Soldatenseelsorger,

- die Übernahme der Kosten durch den Staat oder auch

- das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr als offizielle Dienststelle der Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern.

Neu ist vor allem der Status des Soldatenseelsorgers als Pfarrerin und Pfarrer im unmittelbaren Dienst der EKD. D.h. im Gegensatz zum Militärseelsorgevertrag sind die Soldatenseelsorger nicht Staatsbeamte, sondern Kirchenbeamte. Damit ist die wichtigste Forderung der östlichen evangelischen Landeskirchen erfüllt worden. Im Gegenzug hat der Staat darauf bestanden, die Anerkennung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und das Verbot, sich innerhalb von Bundeswehreinrichtungen politisch zu äußern, in die Rahmenvereinbarung hineinzunehmen. Dazu gehört - so die Rahmenvereinbarung - auch "die Achtung vor der Entscheidung des Soldaten zum Wehrdienst mit der Waffe", ein Punkt, der unter theologischen Gesichtspunkten nicht unumstritten ist und bereits 1991 im Briefwechsel zwischen dem Bund der Evangelischen Kirchen und dem Bundesministerium der Verteidigung diskutiert wurde. Dort ging es allerdings noch um die "vorbehaltlose Anerkennung"8. Ein derartiger Verweis ist im Militärseelsorgevertrag nicht enthalten und muss auch nicht enthalten sein aufgrund des Bundesbeamtenstatus der Militärpfarrer.

Weiterhin hat die EKD im Gegensatz zur Regelung im Militärseelsorgevertrag für die Versorgungsansprüche der Soldatenseelsorger in den neuen Bundesländern selbst aufzukommen. Das ergibt sich als logische Konsequenz aus dem Kirchenbeamtenverhältnis. Die übrigen Kosten der Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern werden der EKD vom Staat erstattet. Damit folgt man im Wesentlichen der Praxis des Militärseelsorgevertrages.

Die kirchliche Leitung der Seelsorge in der Bundeswehr obliegt analog zum Militärseelsorgevertrag dem Militärbischof. Seine Position wurde in den neuen Bundesländern gestärkt. Zu der kirchlichen Leitung kommen noch aufgrund des nicht gegebenen beamtenrechtlichen Rahmens der Soldatenseelsorger die personell-organisatorischen Belange.

Das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr, eine Bundesoberbehörde und unmittelbar dem Bundesminister der Verteidigung nachgeordnet, wird auch in der Rahmenvereinbarung als offizielle Dienststelle für die Soldatenseelsorger aufgeführt; seine Aufgaben beschränken sich aber auf ausschließlich staatliche Funktionen wie Sicherheitsüberprüfung und -belehrung, Verpflichtung zur Beachtung der Vorschriften und Dienstanweisungen und Unterrichtung des Bundesministers der Verteidigung über Personalentscheidungen. So erfolgt auch die Vertretung des Militärbischofs im Bereich der neuen Bundesländer nicht durch den Militärgeneraldekan des Evangelischen Kirchenamtes für die Bundeswehr in Bonn, sondern durch den Bevollmächtigten für die evangelische Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern. Damit ist eine konsequent kirchliche Leitung der Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern erreicht worden.

Die Rahmenvereinbarung stellt eine Zwischenlösung bis zum 31. Dezember 2003 dar. Nach einem Zeitraum von vier Jahren, d.h. im Jahre 2000, werden sich beide Partner hinsichtlich einer Überprüfung der getroffenen Regelungen verständigen. Für die Zeit nach 2003 muss dann eine einheitliche institutionelle Regelung der evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr gefunden werden.

Bestandsaufnahme: Erfahrungen mit der Rahmenvereinbarung

Bereits beim Zustandekommen der Rahmenvereinbarung waren die unterschiedlichen Erwartungen, die die Vertragspartner mit diesem Vertrag verbanden, auffällig. Während die staatliche Seite davon ausging, dass nach dem Auslaufen der Rahmenvereinbarung im Jahre 2003 die östlichen Gliedkirchen der EKD dann endgültig den Militärseelsorgevertrag übernehmen werden, wollte sich die kirchliche Seite dagegen die Option offen halten, die Rahmenvereinbarung gegebenenfalls zu verlängern oder aber den Militärseelsorgevertrag selbst in Richtung Rahmenvereinbarung zu verändern. Insbesondere im Bereich der östlichen Landeskirchen wurde die Rahmenvereinbarung als eine Möglichkeit "des Einstiegs in den Ausstieg" angenommen.

Wie ist nun die Rahmenvereinbarung zu bewerten und welche Erfahrungen wurden mit ihr in den neuen Bundesländern gemacht? Eine Reihe von Berichten geben hier Auskunft, unter anderem eine vom Militärbischof in Auftrag gegebene Befragung der evangelischen Seelsorger in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern, Berichte des Bundesministeriums der Verteidigung vom Juni 1999 und Oktober 2000, das Votum des Konvents der Soldatenseelsorger vom Januar 2001, die Bestandsaufnahme im Abschlussbericht des Ausschusses des Rates der EKD zur künftigen Gestaltung der Militärseelsorge vom März 20019 oder auch die Berichte von Vertretern der Soldatenseelsorge beispielsweise auf der Landessynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg vom April 200210.

Diese abgegebenen Erfahrungsberichte gleichen sich in auffälliger Weise; einzelne Kausalzusammenhänge werden dagegen durchaus verschieden betrachtet: Auf der Seite der Soldatenseelsorge werden übereinstimmend die guten und verlässlichen Wirkungsmöglichkeiten der Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern betont. Die Soldatenseelsorge nach der Rahmenvereinbarung sei sowohl innerhalb der Landeskirchen als auch bei den Soldaten akzeptiert. Für die Soldaten seien die unterschiedlichen Strukturen kaum spürbar. Die Soldatenseelsorger selbst betonen die gute Zusammenarbeit mit der militärischen Seite. Auch würden sie keine Unterschiede in der Arbeit und Anerkennung gegenüber den westlichen bzw. katholischen Kollegen im Bundesbeamtenstatus erfahren. Im Gegenteil, für sie ist der deutlich wahrnehmbare Akzeptanzgewinn im Bereich der Landeskirchen nicht allein auf die inzwischen gewonnenen Erfahrungen mit der Seelsorge in der Bundeswehr, sondern vor allem auch auf den Kirchenbeamtenstatus der Soldatenseelsorger zurückzuführen. So betont beispielsweise auch Ulrich Barniske als Soldatenseelsorger in seinem Referat auf der Landessynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg am 26. April 2002, wie wichtig für ihn die Einbindung in den Dienst der Gemeinde und Kirche ist und er es für sinnvoll halte, "dass diese Einbindung möglichst deutlich erkennbar ist und bleibt".

Ebenfalls resümiert das Bundesministerium der Verteidigung, dass die Arbeitsbedingungen der EKD-Seelsorger in den neuen Bundesländern weitgehend denen der Militärgeistlichen in den alten Bundesländern entsprechen und die Zusammenarbeit der Soldatenseelsorger mit den Truppenteilen und den zivilen Dienststellen von beiden Seiten als problemlos angesehen wird. Aus soldatischer Sicht wird festgestellt, dass die Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern einen Zustand der Normalität erreicht hat und sich auch mit dem Standard der westlichen Militärseelsorge vergleichen lässt. Die Erfahrungen würden ebenfalls zeigen, dass die Seelsorger aus den neuen Bundesländern auch im Auslandseinsatz über die gleichen Möglichkeiten wie Militärgeistliche aus den alten Bundesländern verfügen. Diese Feststellung ist insofern bedeutend, da der Seelsorge im Ausland große Bedeutung beigemessen wird. So würden die Seelsorger dort wirkungsvoll mithelfen, Belastungen des Einsatzes abzubauen und das innere Gefüge der Kontingente stabil zu halten.11

Hinsichtlich der Frage, warum sich die Rahmenvereinbarung in der eben beschriebenen Weise bewähren konnte, differieren die Aussagen. Entsprechend dem Abschlussbericht des Ausschusses des Rates der EKD zur künftigen Gestaltung der Militär/Soldaten-Seelsorge habe hierbei der Umstand eine Rolle gespielt, "dass die Bundeswehrführung Ost an der Spitze mit praktizierenden Christen besetzt wurde und die gesamte Führung sich an der Praxis aus dem Geltungsbereich des Militärseelsorgevertrages orientieren konnte und diese Praxis in den Geltungsbereich der Rahmenvereinbarung überführt hat"12. Diese Argumentation findet sich in gleicher Weise im Bericht des Verteidigungsministeriums wieder.

Aus soldatischer Sicht werden dagegen die strukturellen Unterschiede zwischen der westlichen und östlichen Regelung der Seelsorge in der Bundeswehr vor allem als überwiegend innerkirchlicher Natur bewertet. So sei es für die Soldaten auch nicht wichtig, unter welchen vertraglichen Bedingungen Seelsorge stattfindet, sondern dass Seelsorge stattfindet. Diese Aussage deckt sich gleichfalls mit den Ergebnissen einer Befragung von Kommandeuren der Bundeswehr von 1998/99, wonach die Strukturen der Militär- und Soldatenseelsorge für die Bundeswehr zweitrangig seien und in erster Linie theologisch verantwortet werden müssten.13

Seitens der Soldatenseelsorge werden aber auch zwei aus ihrer Sicht negative Aspekte benannt, wo keine Angleichung an die westlichen Arbeitsbedingungen erfolgt ist: Einmal sind die Soldatenseelsorger keine staatlichen Dienststellenleiter. Das hat unter anderem zur Folge, dass die Soldatenseelsorger nicht selbst Fahrbefehle ausstellen können. Das schaffe zwar lösbare, aber kräftebindende Schwierigkeiten. Zum anderen erfolgt keine staatliche Finanzierung der Versorgung. Beide Aspekte erklären sich aus dem Kirchenbeamtenstatus der Soldatenseelsorger heraus. Hinzu kommt eine gewisse kirchliche Inkonsequenz. Würden beispielsweise die Soldatenseelsorger nicht Dienstfahrzeuge der Bundeswehr, sondern ihres Dienstherrn, der EKD, benutzen, entfielen auch militärische Fahrbefehle.

Zusammenfassend betrachtet lässt sich aus den oben zitierten Erfahrungsberichten aber eine sehr positive Bilanz der Rahmenvereinbarung ziehen. In der Praxis hat sie sich bewährt. Für die Soldaten ist der strukturelle Unterschied zwischen der westlichen und östlichen Regelung kaum spürbar und auch die Soldatenseelsorger fühlen sich in ihrer Arbeit und in ihrem Ansehen nicht benachteiligt. Der Kirchenbeamtenstatus der Pfarrer hat vor allem aber wesentlich dazu beigetragen, die kirchliche Akzeptanz der Seelsorge in der Bundeswehr zu erhöhen.

Der künftige Weg: Von der Rahmenvereinbarung zum Militärseelsorgevertrag
Der Bericht des Ausschusses zur künftigen Gestaltung der Militär/Soldaten-Seelsorge (2001)

Entsprechend der Rahmenvereinbarung, die Ende 2003 ausläuft, war vorgesehen, dass sich beide Vertragspartner nach einem Zeitraum von vier Jahren hinsichtlich einer Überprüfung der getroffenen Regelungen verständigen. In Vorbereitung auf diese Gespräche und auf eine Regelung nach der Rahmenvereinbarung hat der Rat der EKD am 6. Oktober 2000 aus seiner Mitte einen Ausschuss berufen, der einen Vorschlag für die künftige Gestaltung der evangelischen Militär/Soldaten-Seelsorge erarbeiten sollte. Der Rat der EKD hat diesen Bericht am 23. März 2001 angenommen und ihn sich zu eigen gemacht. Auf dieser Grundlage basiert auch der Vorschlag, den der Rat der Kirchenkonferenz, den Gliedkirchen und der EKD-Synode in Amberg im November 2001 für die künftige Gestaltung der Militär/Soldaten-Seelsorge unterbreitet hat. Von daher soll der Bericht14 an dieser Stelle einer näheren Betrachtung unterzogen werden.

Welche Aussagen und Ziele beinhaltet der Abschlussbericht des Ausschusses zur künftigen Gestaltung der Militär/Soldaten-Seelsorge vom März 2001 und welche Wege ihrer Umsetzung werden hier konkret vorgeschlagen? Zunächst greift der Bericht die Erfahrungen mit der Rahmenvereinbarung auf, insbesondere auch unter Einbeziehung des Votums der Soldatenseelsorger. Konkret heißt es: "Der kirchliche Status der Pfarrerschaft im Bereich der Geltung der Rahmenvereinbarung hat gegenüber den Soldaten keine Rolle gespielt. Er hat aber geholfen, die Akzeptanz der Seelsorge in der Bundeswehr in den Kirchengemeinden und bei den kirchlichen Mitarbeitern zu verbessern." Vor diesem Hintergrund nennt der Ausschuss drei bedenkenswerte Elemente der Rahmenvereinbarung für die Übernahme in eine künftige Regelung: Das betrifft den Status der Soldatenseelsorger als EKD-Beamte, die Möglichkeit der 55 %-Hauptamtlichen und eine verstärkte Nebenamtlichkeit der Seelsorger. Die beiden letztgenannten Punkte sind wegen der Doppelbelastung der Pfarrer nicht unumstritten. Im Hinblick auf die Disloziierung der Bundeswehrstandorte könne aber auf diesem Wege eine Versorgung in der Fläche erleichtert werden. Zum anderen spreche für diese Flexibilisierung auch die Notwendigkeit, Seelsorger in Auslandseinsätzen am Standort zu vertreten.

Des weiteren geht der Bericht auf die neue Struktur und den neuen Auftrag der Streitkräfte ein. Auch diese müssten in den Überlegungen einer künftigen Gestaltung der Militär/Soldaten-Seelsorge Berücksichtigung finden. So verwische beispielsweise die Neuregelung der Wehrbereiche die ehemalige Grenze zwischen West und Ost, womit einer einheitlichen Militär/Soldaten-Seelsorge eine erhöhte Bedeutung zukomme.

Konkret benennt der Ausschuss acht Ziele einer künftigen Gestaltung der Seelsorge in der Bundeswehr. Erstens: "Die Militär/Soldaten-Seelsorge ist eine unverzichtbare kirchliche Aufgabe und in kirchlicher Verantwortung durchzuführen." Unter diesem Punkt wird zunächst die Hauptamtlichkeit des Militärbischofs (durch eine Änderung des Kirchengesetzes) favorisiert.

Ein weiterer und wesentlicher Vorschlag besteht in der Möglichkeit des kirchlichen Status der Pfarrerschaft (mit dem Staat auszuhandeln). Dazu heißt es folgend: "Die rechtliche Form entscheidet sich vor allem an der Frage, ob eine Veränderung des Militärseelsorgevertrages ins Auge gefasst wird." Wie ist diese Aussage zu verstehen? Bereits zuvor stellt der Ausschuss fest, dass es sich bei der Statusfrage um eine Schlüsselfrage handele. Dabei sei eine Veränderung des Status der Pfarrerschaft mit einer freien Option auf einen kirchlichen Status ohne Vertragsänderung nicht möglich. Für eine rechtliche Form der Zuordnung der Pfarrerschaft zur Bundeswehr ohne Veränderung des Militärseelsorgevertrages gebe es aus juristischer Sicht nur die Möglichkeit der Entsendung. Hier würden die Pfarrer der Gliedkirchen zunächst in ein EKD-Kirchenbeamtenverhältnis entsendet werden, um dann doch wieder als Seelsorger der Bundeswehr in ein Beamtenverhältnis zum Staat zu wechseln.

Weiterhin wird eine Befristung der Leitungsämter vorgeschlagen. Zudem wird eine kirchliche Begrifflichkeit in Gesetzestexten und bei Amtsbezeichnungen als hilfreich, wenn auch nicht als dringlich angesehen. Hier könne gegebenenfalls auch nur eine innerkirchliche Anpassung erfolgen. (Änderung des Kirchengesetzes)

Als zweites Ziel einer künftigen Gestaltung der Militär/Soldaten-Seelsorge steht im Bericht des Ausschusses: "Die Militär/Soldaten-Seelsorge braucht eine vertragliche Regelung mit dem Staat." Dies sei vor allem notwendig, um die kirchliche Unabhängigkeit zu gewährleisten, die organisatorische und finanzielle Unterstützung zu erhalten, den Zugang zum staatlichen Hoheitsgebiet zu haben und völkerrechtlich im Ausland abgesichert zu sein. Da eine Veränderung des Militärseelsorgevertrages die gegenwärtigen Regelungen für die Militär/Soldaten-Seelsorge und auch die finanzielle Ausstattung durch den Staat zur Disposition stellen würde und ein Verlust der Arbeitsmöglichkeiten befürchtet wird, "sollte für die ganze EKD auf den unveränderten Militärseelsorgevertrag zurückgegriffen werden".

Der hier erfolgte Vorschlag der Ausweitung des Militärseelsorgevertrages widerspricht deutlich dem ersten Punkt, wonach die Möglichkeit geschaffen werden sollte, dass die Seelsorger in der Bundeswehr auch im kirchlichen Status diesen Dienst versehen können. Der kirchliche Status ist - entsprechend den eigenen Aussagen des Ausschusses - ohne eine Änderung des Militärseelsorgevertrages nicht möglich. Und der andere von ihm aufgezeigte Weg, den kirchlichen Status über eine Entsendung zu erreichen, bei der die Pfarrer zunächst in den EKD-Dienst entsendet werden, um dann aber als EKD-Beamte in das staatliche Beamtenverhältnis zu wechseln, kann im Ergebnis wohl schwerlich als ein kirchlicher Status der Seelsorger ausgelegt werden.

"Die Militär/Soldaten-Seelsorge muss den neuen Erfordernissen der Strukturveränderungen der Bundeswehr und ihres veränderten Auftrages angepasst werden." - so das dritte im Bericht des Ausschusses benannte Ziel. Ausgehend von diesen Überlegungen sei es erforderlich, die Militär/Soldaten-Seelsorge deutlicher als eine Gemeinschaftsaufgabe der EKD herauszustellen, um damit flexibler planen und reagieren zu können. Für die rechtliche Umsetzung dieses Vorschlages wird eine Änderung der Grundordnung vorgeschlagen. (Änderung der GOEKD und des Kirchengesetzes) Des weiteren solle über Absprachen mit dem Staat eine größere Flexibilität bezüglich des Personalschlüssels 1 : 1.500 (ein evangelischer Pfarrer für 1.500 evangelische Soldaten) erreicht werden. Dies werde durch die Begleitung der Auslandseinsätze noch verstärkt notwendig.

Das vierte Ziel des Vorschlagkataloges lautet: "Die noch vorhandenen Unterschiede Ost und West sollen nicht verstetigt werden." Hierunter fällt in erster Linie die Herstellung eines gleichen Rechtsrahmens. Für den Ausschuss bedeutet es aber gleichzeitig, dass die Seelsorger analog zum Bundesrecht unter Einbeziehung der Versorgungsleistungen vom Staat bezahlt werden, eine staatliche Dienststelle leiten und das Nebenamt im Westen ausgebaut wird. Diese Ziele seien am besten durch den Militärseelsorgevertrag zu erreichen. Aus rechtlicher Sicht sei dabei auch nicht die Zustimmung der östlichen Gliedkirchen zum Militärseelsorgevertrag nötig, da mit der Zustimmung zur beabsichtigten Ergänzung der Grundordnung der EKD (Militär/Soldatenseelsorge als Gemeinschaftsaufgabe der EKD) gleichzeitig auch die Zustimmung zum Militärseelsorgevertrag enthalten ist.

Fünftens: "Elemente der Praxis der Rahmenvereinbarung sollen in eine neue Regelung übernommen werden." So könne eine neue Regelung den EKD-Status der Seelsorger ermöglichen, die 55%-Regelung für alle schaffen und das Nebenamt stärker ausbauen. Zur Statusfrage der Pfarrer: In den Erläuterungen des Ausschusses heißt es hierzu: "Der EKD-Beamtenstatus kann durch Änderung des Kirchengesetzes ermöglicht werden. Es wäre dann Aufgabe der EKD, die Geistlichen der Bundeswehr zuzuordnen." Die mögliche Form der Zuordnung wurde bereits an obiger Stelle ausgeführt. Der Ausschuss benannte schon unter Punkt 1 den kirchlichen Status der Pfarrer als Ziel einer künftigen Gestaltung der Militär/Soldaten-Seelsorge. An dieser Stelle kann nur noch einmal wiederholt werden, dass die Entsendung - als einzige aus Sicht des Ausschusses mögliche rechtliche Form der Zuordnung - in den EKD-Dienst nicht heißt, dass die Seelsorger in der Bundeswehr Kirchenbeamte sind; sie sind ebenfalls Staatsbeamte. Wo der Vorteil dieses Umweges über den EKD-Status liegen soll, bleibt fraglich. Das Ermöglichen teilhauptamtlicher Stellen sowie eine verstärkte Nebenamtlichkeit wäre dagegen unter dem Militärseelsorgevertrag möglich und Gegenstand von Vereinbarungen mit dem Staat.

Unter Punkt 6 wird die Notwendigkeit der internationalen ökumenischen Offenheit und der guten Nachbarschaft zur katholischen Militärseelsorge thematisiert.

Als siebentes Ziel formuliert der Ausschuss: "Der Lebenskundliche Unterricht (LKU) soll als Zugang zu allen Soldaten unabhängig von der Kirchenmitgliedschaft erhalten bleiben." Als interessant erweist sich insbesondere die anschließende Erläuterung: "Die gegenwärtige Praxis des LKU ist durch Schriftwechsel des Militärbischofs mit dem Bundesminister der Verteidigung vereinbart. Versuche, diese Vereinbarung zu ändern oder von ihrer rechtlichen Gestalt her aufzuwerten, würden vermutlich die vorhandenen guten Möglichkeiten des Zugangs zu allen Soldaten gefährden." Dieser in den EKD-Informationen "Militärseelsorge IV" abgedruckte Briefwechsel zwischen dem evangelischen Militärbischof und dem Bundesminister der Verteidigung aus dem Jahre 199715 bekräftigt die gegenwärtige Praxis. Er kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die konkrete Gestaltung des Lebenskundlichen Unterrichts nur in den Dienstvorschriften der Bundeswehr, konkret in der ZDv 66/2, verankert ist. Eine vertragliche Grundlage zwischen Staat und Kirche existiert dagegen nicht. Zudem mehren sich kritische Stimmen, die in der gegebenen Konstruktion des LKU eine Verfassungs- und Bekenntniswidrigkeit sehen.16

Und abschließend formuliert der Ausschuss in einem achten Punkt: "Die neuerliche Debatte um die künftige Gestaltung der Militär/Soldaten-Seelsorge darf das wieder gewachsene Vertrauen der Soldaten in die Militär/Soldatenseelsorge und in die Kirche nicht wieder verspielen." Entsprechend den folgenden Erläuterungen solle die Debatte im innerkirchlichen Bereich gehalten werden. Des weiteren hält der Ausschuss fest: "Die Frage einer formellen Zustimmung zum Militärseelsorgevertrag durch die östlichen Gliedkirchen stellt sich nicht. Es geht allein um die Änderung der kirchengesetzlichen Regelungen." Das zeigt den deutlichen Versuch, über diesen Verfahrensweg die Hemmschwelle zur Zustimmung zu senken.

Der Bericht des Ausschusses des Rates der EKD zur künftigen Gestaltung der Militär/Soldaten-Seelsorge lässt sich damit wie folgt zusammenfassen: Der Ausschuss empfiehlt in seinem Bericht die Übernahme des Militärseelsorgevertrages. Dabei könne die Abstimmung der östlichen Landeskirchen zum Militärseelsorgevertrag dadurch wegfallen, dass mit der Zustimmung zur Grundordnungsänderung inklusive auch die Zustimmung zum Militärseelsorgevertrag enthalten sei. Elemente, die durch Vereinbarungen mit dem Staat aus der Rahmenvereinbarung übernommen werden sollen, sind vor allem die 55%-Stellen und die verstärkte Nebenamtlichkeit der Pfarrer. Bei der in diesem Zusammenhang ebenfalls aufgeführten Möglichkeit des kirchlichen Status der Seelsorger handelt es sich bei genauer Betrachtung um eine Verwischung der ursprünglichen Ziele. Denn der EKD-Status der Pfarrer bedeutet bei Geltung des Militärseelsorgevertrages entsprechend dem Bericht lediglich den Umweg der Pfarrer über den EKD-Kirchenbeamtenstatus (durch Entsendung) zum Staatsbeamten. Worin hier der Vorteil liegen soll, wird nicht ersichtlich. Denn originär ging es darum, die Kirchlichkeit dieses Arbeitsfeldes deutlicher zu machen, um dadurch auch die innerkirchliche Akzeptanz zu verstärken. Wenn die Seelsorger in der Bundeswehr letztlich doch Staatsbeamte sind, ist dieses Ziel nicht erreicht. Und auch die Vorteile aus einer im Bericht erwähnten Sondierung, inwieweit und in welchem Umfang ein staatliches Angestelltenverhältnis möglich sei, erschließt sich nicht. Staatliche Angestellte stehen in ähnlicher Loyalität zum Staat wie Staatsbeamte. So wird zwar der Anschein gewahrt, den wichtigsten Punkt der Rahmenvereinbarung und das Anliegen der östlichen Landeskirchen - die Möglichkeit des kirchlichen Status der Seelsorger - in die neue Regelung übernehmen zu wollen, gleichzeitig votiert man aber für den Militärseelsorgevertrag. Dabei ist man sich der Inkompatibilität beider Aspekte wohl bewusst.

Die Synodenbeschlüsse von Amberg im November 2001

Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat in Amberg über die Neuordnung der Seelsorge in der Bundeswehr beraten.17 Dr. Eckhart von Vietinghoff stellte der Synode den Bericht des Ausschusses zur künftigen Gestaltung der Militär/Soldaten-Seelsorge vor. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse und der Gespräche mit dem Staat konstatierte Vietinghoff, dass weder die Bundesregierung einen Neuverhandlungsbedarf sehe noch die Kirche ein Interesse haben sollte, den Militärseelsorgevertrag in Frage zu stellen. Aus kirchlicher Sicht würden die Risiken einer Neuverhandlung gegenüber den positiven Chancen überwiegen. So schlägt er der Synode folgenden Verfahrensweg vor: Erstens möge sie dem Rat der EKD den Auftrag erteilen, mit dem Staat eine Verwaltungsvereinbarung auf der Basis der sogenannten Freundschaftsklausel des Militärseelsorgevertrages auszuhandeln. Angestrebte Veränderungen seien: das Angestelltenverhältnis neben dem Bundesbeamtenverhältnis (Nach Ansicht des Rates werde mit dem Angebot zweier Gestaltungsformen deutlich, dass der Bundesbeamtenstatus nicht zwingend sei und zum Kernbereich des Militärseelsorgevertrages gehöre, sondern allein auf der Ebene der Praktikabilität anzusiedeln sei.), eine Befristung der Leitungsämter, eine juristische Leitung des Evangelischen Kirchenamtes für die Bundeswehr sowie der Ausbau des Nebenamtes. Zweitens möge die Synode ein Änderungsgesetz beschließen, wonach die Seelsorge in der Bundeswehr als eine Gemeinschaftsaufgabe der EKD festgeschrieben wird. Nach Zustimmung der östlichen Gliedkirchen zu dieser Grundordnungsänderung trete dann der Militärseelsorgevertrag im Bereich der gesamten EKD in Kraft.

Im Anschluss an Vietinghoffs Ausführungen bilanzierte Militärbischof Hartmut Löwe, dass der Dienst der Militärpfarrer bei den Soldaten, aber auch bei Politikern und Journalisten eine enorme Akzeptanz der Kirche zur Folge gehabt hätte. Und diese großen Möglichkeiten der Militärseelsorge sollten ungeschmälert erhalten bleiben. Superintendent Werner Krätschell, Bevollmächtigter für die evangelische Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern, betonte in seinem Referat vor der Synode, dass er keinen Fall kenne, wo die Freiheit und Unabhängigkeit der Soldatenseelsorger von staatlicher oder militärischer Seite nicht respektiert worden seien.

Es folgte eine kontroverse Debatte. Volker Kreß, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, unterstützte den Vorschlag des Rates. Er habe Generäle und Offiziere in der Bundeswehr als engagierte Christen erlebt. Diese Erfahrung war für ihn aus dem Osten nahezu unvorstellbar. Des weiteren seien unterschiedliche Rechtslagen dreizehn Jahre nach der deutschen Einheit nicht mehr zeitgemäß. Auch der Theologieprofessor Eberhard Jüngel plädierte für die Realisierung des Vorschlages des Rates der EKD. Er könne keine theologischen Bedenken erkennen. So garantiere der Militärseelsorgevertrag ein Maximum an Freiheit und kirchlicher Eigenständigkeit. Und im Hinblick auf eine Neuordnung der Militärseelsorge mahnte er: "Wer mehr will, ... wird weniger bekommen." Dagegen drückte beispielsweise Gudrun Weber aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen ihr Unverständnis darüber aus, "dass in keinster Weise in Frage gestellt wird, dass sich da auch etwas verändern könnte". Wolfgang Zimmermann, Synodaler der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, betonte, dass für ihn zunächst die Entscheidung über den Status der Pfarrer anstehe und nicht die Frage, ob es neben den Beamten auch Angestellte geben könne. Denn ob die Seelsorger in der Bundeswehr im Dienste des Staates oder der Kirche stehen, sei keine nur pragmatische Frage.

Letztlich folgte die Synode in Amberg den beiden Vorschlägen des Rates der EKD. D. h. sie fasste sowohl einen Beschluss zur Änderung der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland als auch einen Beschluss zum Abschluss einer Verwaltungsvereinbarung zur Ergänzung des Militärseelsorgevertrages.18

Die Beschlüsse einzelner Landessynoden zur Seelsorge an Soldaten

Nachdem die Synode in Amberg den Rat der EKD gebeten hat, ein Änderungsgesetz zur Grundordnung der EKD vorzulegen sowie die angestrebten Veränderungen mit dem Staat in einer Verwaltungsvereinbarung verbindlich festzulegen, müssen nun die östlichen Landessynoden zur beabsichtigten Übernahme des Militärseelsorgevertrages Stellung nehmen.

Die Landessynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg hat auf ihrer Tagung vom 26. bis 27. April 2002 über die Zukunft der Militärseelsorge debattiert. Werner Krätschell, Bevollmächtigter für die evangelische Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern, leitete mit seinem Referat die Diskussion ein. Analog zum Votum der Soldatenseelsorger konstatierte er vor der Synode: "Ich stehe also vor Ihnen in der paradoxen Situation, dass ich einerseits im Rückblick erklären kann, dass sich die Rahmenvereinbarung ausgesprochen bewährt hat, andererseits sich aber im Blick auf die Zukunft eine neue Regelung als notwendig erweist."19

Zunächst beschrieb der Bevollmächtige für die Soldatenseelsorge in seinem Referat vor der Landessynode den bisher eingeschlagenen Weg der EKD und ging in diesem Zusammenhang vor allem auf den Bericht des Ausschusses zur künftigen Gestaltung der Militär/Soldaten-Seelsorge und die entsprechenden Beschlüsse der Amberger Synode ein. Seiner Ansicht nach liege die Bedeutung für die östlichen Landeskirchen vor allem darin, dass sie durch die Zustimmung zur Grundordnungsänderung von einer förmlichen Zustimmung zum Militärseelsorgevertrag enthoben wären.

Des weiteren ging er auf den umstrittensten Punkt, auf die Frage des künftigen Status der Seelsorger in der Bundeswehr, ein. So liege der Normalfall der beabsichtigten gesamtdeutschen Regelung im staatlichen Beamtenstatus der Seelsorger. In einem Umfang von etwa 10 Prozent solle vom Staat aber auch ein Angestelltenverhältnis ermöglicht werden. Vor dem Hintergrund, dass der gewünschte kirchliche Beamtenstatus bei Wegfallen der Rahmenvereinbarung und Geltung des Militärseelsorgevertrages rechtlich nicht möglich sei, sieht Krätschell im Angestelltenverhältnis ein "Äquivalent" und betont seinen "Kompromisscharakter". Inwieweit ein staatliches Angestelltenverhältnis dazu dienen kann, den kirchlichen Charakter dieses Dienstes deutlicher herauszustellen oder auch den Doppelstatus der Pfarrer zu überwinden, bleibt unbeantwortet.

In seinem letzten Punkt des Referats, der Beschreibung des Wandels "von der Skepsis gegenüber der Militärseelsorge zu einer bedingten Zustimmung", führte der Bevollmächtigte für die Soldatenseelsorge im Wesentlichen zwei Gründe auf: Einmal seien die Seelsorger im Geltungsbereich des Militärseelsorgevertrages in ihrem Dienst in keiner weitergehenden Abhängigkeit gegenüber dem Staat als die Soldatenseelsorger unter der Rahmenvereinbarung. Die Frage nach der Nähe und Distanz gegenüber militärischem Denken sei daher weniger eine Frage der Strukturen, sondern eine der Personalauswahl. Zweitens verwies er auf die veränderte sicherheitspolitische Situation. So habe man beim Abschluss der Rahmenvereinbarung vor sechs Jahren eine ganz andere Bundeswehr im Blick gehabt. Zu jener Zeit habe es noch nicht diese Ausrichtung der Bundeswehr auf Auslandseinsätze mit all ihren Belastungen und Risiken gegeben. In diesem Zusammenhang sprach Krätschell von einem Paradigmenwechsel in der Bundeswehr: "von dem Wechsel einer Armee des Kalten Krieges zu einer Armee, die seit 1990 immer mehr dafür eingesetzt und trainiert wird, Krieg nicht zu führen, sondern Krieg und Katastrophen zu verhindern". Seine Schlussfolgerung lautet: "Darum kann einer durchaus "Ja" sagen zur Bundeswehr und zu einer Militär/Soldatenseelsorge, ohne dass er jenes pazifistische Vermächtnis der östlichen Landeskirchen aufgibt."20

An diese Ausführungen schließen sich doch unmittelbare Fragen bzw. Anmerkungen an: Zum Beispiel, ob denn die Bundeswehr jemals für etwas anderes eingesetzt und trainiert wurde, als zur Verhinderung von Kriegen beizutragen. Des weiteren zeigt das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1994 - d. h. deutlich vor Abschluss der Rahmenvereinbarung - dass zu den Aufgaben der Bundeswehr mit entsprechender Zustimmung des Bundestages auch Auslandseinsätze außerhalb des NATO-Territoriums gehören. So wurde die Begleitung der Soldaten bei Auslandseinsätzen explizit in die Rahmenvereinbarung aufgenommen. Völlig überrascht kann die Militär/Soldaten-Seelsorge von dem gegenwärtigen Auftragsspektrum der Bundeswehr damit nicht sein. Und hinsichtlich seines Verweises zum "pazifistischen Vermächtnis der östlichen Landeskirchen" lässt sich konstatieren, dass die gegenwärtigen Einsätze der Bundeswehr innerkirchlich und friedensethisch ebenfalls nicht unumstritten sind. Auch hinsichtlich des ersten Aspektes, der Freiheit des Evangeliums, hat sich keine neue Situation ergeben, die einen Wandel erklären könnte. Schon zum Zeitpunkt des Abschlusses der Rahmenvereinbarung ging der Bevollmächtigte davon aus, dass diese Freiheit in der Regel auch unter dem Militärseelsorgevertrag gegeben ist. Was passiert aber im Konfliktfall? - so noch seine Frage 1998 an die Militärseelsorge.21 Zudem geht es, wie die oben ausgeführten Erfahrungsberichte gezeigt haben, bei dem Kirchenbeamtenstatus der Seelsorger in besonderem Maße auch um die innerkirchliche Akzeptanz dieses Arbeitsfeldes, die infolge der östlichen Regelung doch deutlich zugenommen hat.

Zum Beschluss der Landessynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg zur Seelsorge an Soldaten: Nach einer kontroversen Debatte, begleitet von Protesten evangelischer Jugendgruppen, nahm die Synode schließlich die EKD-Empfehlungen von Amberg auf. So wird eine einheitliche Regelung der Seelsorge in der Bundeswehr angestrebt und eine Übertragung dieses Seelsorgebereiches als Gemeinschaftsaufgabe der EKD befürwortet. Dabei solle der Militärseelsorgevertrag in Verbindung mit einer zusätzlichen Verwaltungsvereinbarung Anwendung finden. Die zwischen der EKD und der Bundesregierung auszuhandelnde Verwaltungsvereinbarung soll folgende Punkte enthalten: "a) Öffnung der Möglichkeit für evangelische Seelsorge in der Bundeswehr im Kirchenbeamtenstatus oder im Angestelltenverhältnis bei Fortdauer des kirchlichen öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses. b) Beschäftigungsverhältnisse im Nebenamt oder im geteilten Amt sind zu fördern. c) Die Leitungsämter in der oberen und mittleren Ebene werden befristet."22

Als verwirrend erweist sich die Formulierung unter Punkt a zur Statusfrage der Seelsorger in der Bundeswehr. Sie suggeriert die Möglichkeit, den Militärseelsorgevertrag übernehmen zu können einschließlich der Möglichkeit, die Seelsorger wie unter der Rahmenvereinbarung im kirchlichen Status in der Bundeswehr zu beschäftigen. Das ist aber nach entsprechenden juristischen Gutachten nicht möglich. Danach kann nur die Wahlmöglichkeit - das hat auch der Bevollmächtigte für die evangelische Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern vor der Synode explizit ausgeführt - zwischen staatlichem Beamtenverhältnis und staatlichem Angestelltenverhältnis bestehen. Dieser Tatsache trägt der Synodenbeschluss Rechnung. Mit "Angestelltenverhältnis bei Fortdauer des kirchlichen öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses" ist konkret das staatliche Angestelltenverhältnis gemeint. - Das wird jedoch dem Leser (eventuell sogar den Synodalen selbst) auf den ersten Blick nicht unbedingt offensichtlich.

Der Beschluss endet letztlich noch mit dem Verweis, dass die Landessynode erst nach Vorliegen einer verbindlichen Fassung der Neuregelung der evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr der EKD die Zustimmung zur Grundordnungsänderung erteilt. D. h. der Landessynode muss vor der endgültigen Zustimmung die veränderte Fassung des Kirchengesetzes zur Militär/Soldaten-Seelsorge vorliegen.

Der Synodenbeschluss der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen (Magdeburg, 14.-18.11.2001)23 tendiert in die gleiche Richtung. Auch hier lässt sich eine Orientierung an den Vorschlägen des Ausschusses des Rates der EKD und der Beschlüsse der EKD-Synode in Amberg erkennen. Nachdem die Synode in Magdeburg zur Kenntnis nimmt, dass von Seiten der EKD keine Neuverhandlung des Militärseelsorgevertrages angestrebt wird, hält sie es zunächst "dennoch für erforderlich, weiter nach Möglichkeiten zu suchen, einen Kirchenbeamtenstatus für Soldatenseelsorger und -seelsorgerinnen zu eröffnen, ..." Im folgenden Punkt des Synodenbeschlusses, im Hinblick auf eine Änderung der Grundordnung der EKD, heißt es dann bezüglich des Status der Seelsorger nur noch: "Die Option für Soldatenseelsorger und -seelsorgerinnen im Angestelltenverhältnis soll geöffnet werden."

Der Synodenbeschluss der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen (Eisenach, 17.11.2001)24 hebt sich dagegen inhaltlich ab. Nachdem dort ebenfalls die Notwendigkeit eines gemeinsamen rechtlichen Rahmens für die Militär/Soldaten-Seelsorge betont wird, stellt die Synode deutlich heraus, dass die Regelung der Rahmenvereinbarung hinsichtlich der Statusfrage der Pfarrer "ein deutlicheres Zeichen für die Unabhängigkeit der Geistlichen und für ihre uneingeschränkte Bindung an den kirchlichen Auftrag" ist. In diesem Sinne befürwortet sie auch "ein Pfarrerdienstverhältnis für Geistliche in der Bundeswehr und ihre Entsendung im Status eines EKD-Beamten". Bei dieser Formulierung ist ausschließlich an ein kirchliches Dienstverhältnis nach dem Vorbild der Rahmenvereinbarung gedacht worden.25 Die mecklenburgische Landessynode wird erst auf ihrer Tagung im Frühjahr 2003 über das Thema Militär/Soldaten-Seelsorge beraten.

Diese eben aufgeführten Synodenbeschlüsse sind nicht vollständig (insgesamt gibt es acht östliche Gliedkirchen), sie geben aber eine Übersicht über die Stellungnahmen der nach 1990 kritischsten östlichen Landeskirchen hinsichtlich der Militärseelsorge. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die beabsichtigte Regelung, die Seelsorge in der Bundeswehr nach 2003 einheitlich zu regeln und als eine Gemeinschaftsaufgabe der EKD zu verstehen, innerhalb der östlichen Gliedkirchen unumstritten ist. Das Aufgeben der östlichen und in der Rahmenvereinbarung verwirklichten Ziele - insbesondere im Hinblick auf die Statusfrage der Seelsorger - fällt den Landessynoden dagegen deutlich schwerer. Die beispielsweise umständliche Formulierung in dem Synodenbeschluss der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg zeugt davon. Dennoch scheint sich eine Entwicklung abzuzeichnen, die eine Übernahme des umstrittenen Militärseelsorgevertrages durch die östlichen Gliedkirchen wahrscheinlich werden lässt.

Die Protokollnotiz zur Auslegung des Militärseelsorgevertrages vom 22.2.1957

Während die östlichen Gliedkirchen teilweise noch ihre Stellungnahmen zur Seelsorge an Soldaten abgeben, ist der Beschluss der EKD-Synode in Amberg zum Abschluss einer Verwaltungsvereinbarung bereits umgesetzt worden. Am 13. Juni 2002 haben Valentin Schmidt, der Präsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland, und der Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, Klaus-Günther Biederbick, eine Protokollnotiz zur Auslegung des Militärseelsorgevertrages unterzeichnet.26 Damit bezieht man sich auf den Artikel 27 des Militärseelsorgevertrages, der sogenannten Freundschaftsklausel, wonach die Vertragsschließenden Meinungsverschiedenheiten bei der Auslegung einer Bestimmung auf freundschaftliche Weise beseitigen und sich über notwendig werdende Sonderregelungen verständigen.

Entsprechend der Protokollnotiz einschließlich der Erläuterungen des Kirchenamtes der EKD zu dieser Ergänzung des Militärseelsorgevertrages27 können die Pfarrerinnen und Pfarrer nun verstärkt auch nebenamtlich mit der Aufgabe der Seelsorge in der Bundeswehr betraut werden. Nach der neuen Übereinkunft wird es das Nebenamt in drei Formen geben: (1) das klassische Nebenamt mit begrenzten Aufgaben analog zur westlichen Praxis, (2) das ausgebaute Nebenamt als Teil des Dienstauftrages eines Pfarrers bis hin zum geteilten Amt und (3) Vertretungsaufgaben für Seelsorger im Auslandseinsatz durch pensionierte Geistliche.

Zudem können bei Vorliegen sachlicher Gründe die Seelsorger nach Ablauf ihrer Probezeit im Angestelltenverhältnis verbleiben. D. h. in der Regel sind die Seelsorger in der Bundeswehr weiterhin Bundesbeamte, im Einzelfall akzeptiert der Staat aber auch Geistliche im Bundesangestelltenverhältnis. Die Feststellung des dazu notwendigen sachlichen Grundes erfolgt durch die Landeskirche und den Militärbischof (beispielsweise wenn ein Beschäftigungsverhältnis nicht zustande käme, weil aus einem bestimmten theologischen Grunde der Bundesbeamtenstatus abgelehnt wird).

Des weiteren erfolgt eine Befristung der Leitungsämter. Und letztlich kann mit der Leitung des Evangelischen Kirchenamtes für die Bundeswehr auch eine Beamtin / Beamter mit der Befähigung zum Richteramt beauftragt werden.

Die auf der EKD-Synode in Amberg benannten angestrebten Veränderungen im Rahmen einer Verwaltungsvereinbarung mit dem Staat sind damit erreicht worden. Aufgabe der EKD ist es nun, den zweiten Beschluss der EKD-Synode, die evangelische Seelsorge in der Bundeswehr in den Katalog der Gemeinschaftsaufgaben aufzunehmen, umzusetzen. Dazu muss zunächst das Kirchengesetz zur Militär/Soldaten-Seelsorge verändert werden. Im Falle der Zustimmung der östlichen Gliedkirchen zur Grundordnungsänderung kann dann der Militärseelsorgevertrag zum 1.1.2004 im gesamten Bereich der EKD in Kraft treten.

Warum die eingeschlagene Reform vor dem Scheitern steht

Die gegenwärtige Situation scheint paradox: Der mit der Rahmenvereinbarung eingeschlagene Reformweg der östlichen Landeskirchen hat sich entsprechend den Erfahrungsberichten sichtbar bewährt, dennoch wird es nach 2003 aller Voraussicht nach zu einer Übernahme des Militärseelsorgevertrages kommen. Dabei wurde die Rahmenvereinbarung von den östlichen Gliedkirchen nicht nur als eine zeitlich befristete Übergangsregelung gesehen, sondern als eine Möglichkeit "des Einstiegs in den Ausstieg" angenommen. Das zeigt sich beispielsweise im Beschluss der Landessynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg 1996. Mit der Zustimmung zur Rahmenvereinbarung hatte die Synode festgestellt, am Ziel festhalten zu wollen, den Militärseelsorgevertrag von 1957 im Jahre 2003 durch eine gemeinsame Regelung für alle Gliedkirchen der EKD zu ersetzen, die jedoch nicht in einer Ausweitung des Militärseelsorgevertrages bestehen dürfe. Und auch wenn der Militärseelsorgevertrag durch eine Verwaltungsvereinbarung schon ergänzt wurde, so sind die Hauptpunkte der alten und neuen Diskussion - das staatliche Anstellungsverhältnis der Seelsorger, die Stellung des Evangelischen Kirchenamtes für die Bundeswehr als Bundesoberbehörde sowie die fehlende vertragliche Grundlage oder auch die umstrittene Konstruktion des Lebenskundlichen Unterrichtes - von den Veränderungen weitgehend unberührt geblieben.

Wo liegen nun die Ursachen und Hintergründe für diese Entwicklung? Ein Erklärungsansatz findet sich im Bericht des Ausschusses des Rates der EKD zur künftigen Gestaltung der Militär/Soldaten-Seelsorge. Dort heißt es: "Ein Festhalten am Ziel der Veränderung des Militärseelsorgevertrages würde alle gegenwärtigen Regelungen für die Militär/Soldaten-Seelsorge und auch die finanzielle Ausstattung durch den Staat zur Disposition stellen und birgt die Gefahr des Verlustes an Arbeitsmöglichkeiten in West und Ost."28 Deutlicher noch formuliert es Werner Krätschell in seinem Referat vor der Landessynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg: "Diese ablehnende Position (bezüglich einer Änderung des Militärseelsorgevertrages, Zusatz der Verf.) von Staat und katholischer Kirche war und ist weniger in einer Ablehnung von Anliegen der evangelischen Kirche begründet, als vielmehr in der Überlegung, dass eine Änderung des Militärseelsorgevertrages in jedem Fall vom Parlament gebilligt werden müsste. Im Vergleich aber zum Bundestag von 1957, der den Militärseelsorgevertrag mit großer Mehrheit beschlossen hatte, würde die heutige, eher kirchenkritische Grundhaltung des Parlaments eine für die Kirchen ungünstigere, vertragliche Regelung über die Seelsorge in der Bundeswehr erwarten lassen."29 Auch wenn der Bevollmächtigte der evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern in seinem Kontext den Staat und die katholische Kirche im Blick hat, so drückt dieses Zitat doch ebenso eine grundsätzliche Befürchtung auf evangelischer Seite aus, bestehende "Besitzstände" möglicherweise in Frage stellen zu lassen.

Bei einer öffentlichen Debatte um die künftige Gestaltung der Seelsorge in der Bundeswehr unter Einbeziehung des Deutschen Bundestages würden zweierlei "Besitzstände" zur Disposition stehen: Zum einen die staatliche Finanzierung der Seelsorge. Diesbezüglich erweist sich schon die östliche Übergangsregelung für die evangelische Kirche als nachteilig. Es erfolgt gegenwärtig zwar eine Umwegfinanzierung, d. h. auch unter der Rahmenvereinbarung finanziert der Staat zu wesentlichen Teilen die Seelsorge in der Bundeswehr. Da die Seelsorger in den neuen Bundesländern aber Kirchenbeamte sind, muss die Kirche zumindest für die Versorgungsleistungen der Pfarrer selbst aufkommen. Hinzu kommt, dass von außen diese Form der staatlichen Refinanzierung nicht unumstritten ist, häufig als unehrlich und unaufrichtig angesehen wird, auch bezeichnet mit "Lebenslüge" und "Mogelpackung".30 Bei einer Neuregelung der Militärseelsorge könnte diese Umwegfinanzierung dann gänzlich infrage gestellt werden. Die evangelische Kirche könnte zwar die Militär/Soldaten-Seelsorge - ähnlich wie die Polizeiseelsorge - selbst finanzieren, der gegenwärtig enge Finanzrahmen lässt diese Variante aber nicht wahrscheinlich werden.

Zum anderen geht es der Kirche um die Sicherung ihres gesellschaftlichen Einflussbereiches. In den Berichten und Voten findet sich dieser Aspekt in den sogenannten "guten vorhandenen Arbeitsmöglichkeiten" oder auch in den "guten Zugangsmöglichkeiten zu allen Soldaten" wieder, die man nicht durch eine Neuregelung der Militär/Soldaten-Seelsorge aufs Spiel setzen wolle. Der Zugang der Seelsorger zu den Soldaten ist zunächst im Grundgesetz verbindlich verankert. Im Artikel 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV heißt es: "Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgemeinschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zugelassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist." Der Militärseelsorgevertrag geht aber deutlich über diesen grundgesetzlichen Anspruch hinaus. Er ist sehr stark volkskirchlich geprägt. Inzwischen hat sich aber das gesellschaftliche Umfeld der Militärseelsorge deutlich verändert. Gehörten 1957 noch nahezu die gesamte Bevölkerung und somit auch die Soldaten einer der beiden christlichen Kirchen an, werden nun zunehmend Säkularisierungstendenzen sichtbar. Im Osten hat das 40 Jahre währende DDR-Regime beide große Kirchen in eine Diaspora-Situation gebracht. So gehören gegenwärtig in den neuen Bundesländern lediglich 16 Prozent der Soldaten der evangelischen und 6 Prozent der katholischen Konfession an.31 Aber ebenso befindet sich die westliche Militärseelsorge angesichts der auch dort zu verzeichnenden zunehmenden Säkularisierung32 und der durch den Rückgang substantieller Kirchlichkeit geprägten Gesellschaft in einer anderen Situation als zum Zeitpunkt der Errichtung des Militärseelsorgevertrages. Folglich stellt sich die Frage, ob es das Ziel sein kann, den verlorengegangenen unmittelbaren Einfluss der Kirche auf die Menschen durch eine verstärkte Einflussnahme auf das politische Gemeinwesen auszugleichen bzw. durch maximale institutionelle Sicherungen zu ersetzen.33 Und diese Frage wird sich bei einer Änderung und Neuverhandlung des Militärseelsorgevertrages vermutlich auch das Parlament stellen.

Die gegenwärtige Entwicklung mit der voraussichtlichen Übernahme des Militärseelsorgevertrages durch die östlichen Gliedkirchen ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Eine Neuregelung der Militär/Soldaten-Seelsorge mit den oben aufgeführten Konsequenzen würde ein neues Kirchenverständnis erfordern. So erweist sich gerade das strikte Festhalten an den bestehenden volkskirchlichen Strukturen letztlich als Hemmnis, den ostdeutschen Ansatz aufzunehmen und die Chance der Reform zu ergreifen.

 

Anmerkungen

1 Vgl. Beschluss der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen vom 11./12.01.1991 zur Wahrnehmung der Seelsorge an Soldaten in den Gliedkirchen des Bundes Evangelischer Kirchen, in: Kirchenamt der EKD (Hrsg.): Militärseelsorge III, Hannover 1996, S. 20; Schriftverkehr zwischen dem BEK und dem BMVg über die Seelsorge an Soldaten vom 30.01.1991, 06.05.1991, 04.06.1991 und 24.06.1991, in: ebenda, S. 22 ff.

2 Vgl. Bericht des Ausschusses zur künftigen Gestaltung der Militärseelsorge im November 1993, in: Kirchenamt der EKD (Hrsg.): Militärseelsorge, Hannover 1993.

3 Vgl. Kirchenamt der EKD (Hrsg.): Militärseelsorge II, Hannover 1994, Dok. VI u. VII.

4 Vgl. Beschluss der EKD-Synode zum "Dienst der Kirche an den Soldaten" in Halle am 10.11.1994, in: Kirchenamt der EKD (Hrsg.): Militärseelsorge III, a.a.O., S. 50.

5 Kirchenamt der EKD (Hrsg.): Bericht über die 5. Tagung der 8. Synode der EKD in Halle vom 06.-11.11.1994, Hannover 1994, S. 300.

6 Vgl. EKD, Pressemitteilung: Gemeinsame Erklärung der EKD und der Bundesregierung über Gespräche im Bundeskanzleramt zum Thema Militärseelsorge, Hannover 09.09.1995.

7 Vgl. Abl. EKD, Nr. 50*, Hannover 15.03.1997, S. 101 f.

8 Vgl. Schriftwechsel zwischen dem BEK und dem BMVg über die Seelsorge an Soldaten, insbesondere vom 04.06.1991, in: Kirchenamt der EKD (Hrsg.): Militärseelsorge III, a.a.O., S. 22 ff.

9 Vgl. Kirchenamt der EKD (Hrsg.): Militärseelsorge IV, Hannover 2001.

10 Vgl. Bericht der Synode der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg vom 26.-27. April 2002, Berlin 2002.

11 BMVg, FüSI3: Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern aus Sicht der Streitkräfte, Bonn 13.10.2000, in: Kirchenamt der EKD (Hrsg.): Militärseelsorge IV, a.a.O., S. 60.

12 Abschlussbericht des Ausschusses des Rates der EKD zur künftigen Gestaltung der Militär/Soldaten-Seelsorge, vom Rat der EKD am 23.03.2001 in Berlin angenommen, in: Kirchenamt der EKD (Hrsg.): Militärseelsorge IV, a.a.O., S. 67.

13 Vgl. Werkner, Ines-Jacqueline: Soldatenseelsorge versus Militärseelsorge. Evangelische Pfarrer in der Bundeswehr, Baden-Baden 2001, S. 172.

14 Vgl. Abschlussbericht des Ausschusses des Rates der EKD zur künftigen Gestaltung der Militär/Soldaten-Seelsorge vom 23.03.2001, a.a.O., S. 65 ff.

15 Vgl. Briefwechsel zum Lebenskundlichen Unterricht, in: Kirchenamt der EKD (Hrsg.): Militärseelsorge IV, a.a.O., S. 37 ff.

16 Vgl. Huber, Wolfgang: Kirche und Öffentlichkeit, Stuttgart 1973, S. 277; Fischer, Erwin: Volkskirche ade! Trennung von Staat und Kirche, 4. Aufl., Berlin; Aschaffenburg 1993, S. 148; Kleine, Markus: Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten im Verhältnis von Staat und Kirchen unter dem Grundgesetz. Ein Beitrag zur juristischen Methodik im Staatskirchenrecht, Baden-Baden 1993, S. 179; Kruk, Volkmar: Die rechtlichen Probleme der Militärseelsorge, in: Neue Zeitschrift für Wehrrecht, 1/1997, S. 20 ff.; Mehrle, Gebhard: Trennung vom Staat - Mitarbeit in staatlichen Institutionen. Militärseelsorge und Religionsunterricht in den neuen Bundesländern, Berlin 1998, S. 64 f.; Engelke, Matthias: Der Lebenskundliche Unterricht - Ein doppeltes Problem, in: epd-Dokumentation, 26a/1999, S. 14 ff.; Werkner, Ines-Jacqueline: Soldatenseelsorge versus Militärseelsorge, a.a.O., S. 78 ff.

17 Vgl. Kirchenamt der EKD (Hrsg.): Bericht über die 6. Tagung der 9. Synode der EKD in Amberg vom 4.-9.11.2001, Hannover 2002, S. 277 ff.

18 Vgl. ebenda, S. 584 f.

19 Krätschell, Werner: Seelsorge in der Bundeswehr, Vortrag auf der Frühjahrstagung der Landessynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Berlin 26.04.2002, in: epd-Dokumentation, 26/2002, S. 16.

20 Ebenda, S. 19.

21 Vgl. Krätschell, Werner im Interview mit der Verf., Berlin 02.10.1998, in: epd-Dokumentation, 30/2001, S. 29.

22 Beschluss der Landessynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Berlin 27.04.2002, in: epd-Dokumentation, 26/2002, S. 26.

23 Vgl. Beschluss der Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, Magdeburg 14.-18.11.2001, in: epd-Dokumentation, 26/2002, S. 27 f.

24 Vgl. Beschluss der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, Eisenach 17.11.2001, in: epd-Dokumentation, 26/2002, S. 26 f.

25 Entsprechend einer aktuellen Nachfrage beim dort zuständigen Referenten für die Soldatenseelsorge OKR Zimmermann (28.08.2002) wird sich die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen in letzter Konsequenz aber doch nicht der Übernahme des Militärseelsorgevertrages verschließen.

26 Vgl. Protokollnotiz zur Auslegung des Militärseelsorgevertrages vom 22.2.1957, Bonn 13.06.2002, in: epd-Dokumentation, 26/2002, S. 7.

27 Vgl. Kirchenamt der EKD: Erläuterungen zur Auslegung des Militärseelsorgevertrages, Hannover 13.06.2002, in: epd-Dokumentation, 26/2002, S. 8.

28 Abschlussbericht des Ausschusses des Rates der EKD zur künftigen Gestaltung der Militär/Soldaten-Seelsorge vom 23.03.2001, a.a.O., S. 77.

29 Krätschell, Werner: Seelsorge in der Bundeswehr, a.a.O., S. 17.

30 Vgl. Werkner, Ines-Jacqueline: Soldatenseelsorge versus Militärseelsorge, a.a.O., S. 244.

31 Vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Fü S I 2: Konfessionszugehörigkeit der Soldaten der Bundeswehr, Schreiben auf Anfrage der Verf., Bonn 2002.

32 Auch in den alten Bundesländern sinkt die Kirchenzugehörigkeit. Gegenwärtig gehören dort ca. 37% der Soldaten der evangelischen und 31% der katholischen Konfession an. Vgl. ebenda.

33 Vgl. Hesse, Konrad: Freie Kirche im demokratischen Gemeinwesen, in: Quaritsch, Helmut; Weber, Hermann (Hrsg.): Staat und Kirchen in der Bundesrepublik, Bad Homburg v.d.H.; Berlin; Zürich 1967, S. 343.