Militärseelsorge unter dem Hakenkreuz

Rezension von Dr. Antonia Leugers (Katholizismusforscherin, München) über das Buch von Martin Röw, Militärseelsorge unter dem Hakenkreuz. Die katholische Feldpastoral 1939-1945, (Krieg in der Geschichte, Bd. 83), Paderborn/ München/ Wien 2014, Schöningh Verlag, 474 S., 56.- € , ISBN: 978-3-506-77848-2, Quelle

Martin Röw untersucht in seiner von Thomas Großbölting (Universität Münster) betreuten Dissertation erstmals umfänglich die katholische Militärseelsorge während des Zweiten Weltkriegs. Durch erfahrungs- und mentalitätsgeschichtliche Auswertung von Quellen aus der Kriegszeit mit Bezug auf über 150 Pfarrer geht das Werk weit über die sich bislang zumeist auf Erinnerungen von Zeitzeugen beschränkenden Darstellungen zur Militärseelsorge hinaus.

Im Zweiten Weltkrieg gab es nach Röw ca. 760 katholische Wehrmachtsgeistliche, davon gleichzeitig im Einsatz ca. 410. Bei 18 Millionen Wehrdienstleistenden war also mit kaum 1000 Militärseelsorgern eine pastorale Unterversorgung einkalkuliert, Luftwaffe und Waffen-SS hatten keine, die Marine verschwindend wenige Pfarrer. Abgesehen von der funktionalen, vom Oberkommando des Heeres auch propagandistisch verwerteten Förderung der Militärseelsorge in bestimmten Angriffsphasen (1939, 1941) wurde sie ab 1942 zum Auslaufmodell gestutzt (kein Personalersatz mehr, Seelsorge nur auf individuellen Wunsch des Soldaten, konkurrierende Stellung des nationalsozialistischen Führungsoffiziers usw.). Röw versucht akribisch, alle Aspekte der komplexen Institution Militärseelsorge zu beleuchten: die Zwitterstellung des geistlichen verbeamteten oder nicht verbeamteten Personals des Militärs, das in seiner Lebensführung und vom Verkündigungsinhalt her weiterhin dem kirchlichen Lehramt unterstand, diverse Dienststellen und Einsatzgebiete je nach Kriegslage (Besatzung, Front, Etappe, Lazarett, Standort), die daraus resultierenden unterschiedlichen Aufgaben der Pfarrer, die von ihnen in diesen Phasen den Soldaten angebotenen allgemeinen pastoralen oder speziellen geistlichen Kommunikationsmittel (vom Gottesdienst bis zur Einzelbeichte).

Röws quellengestützter, sachlicher Argumentation ist es zu verdanken, dass nun in wesentlichen Fragen zur Militärseelsorge eine solide wissenschaftliche Grundlage erarbeitet ist. Die umstrittene Person des Feldbischofs Franz Justus Rarkowski zeichnet Röw nüchtern als eine für den Dienst aufgrund ihrer physischen und psychischen Konstitution während des Krieges ungeeignete Persönlichkeit. Von daher muss die bisherige Zentrierung auf ihn ins Leere laufen. Der eigentliche Akteur im Militärbischofsamt war Feldgeneralvikar Georg Werthmann, dessen oberstes Ziel die Erhaltung der Militärseelsorge auch „unter dem Hakenkreuz“ war.

Die Personalrekrutierung hatte durch die Notwendigkeit, eine von Staat und Kirche zu befürwortende Person zu finden, zur Folge, dass die Ernennung extreme Kandidaten fast ganz ausschloss. So waren nach Röws Recherchen unter allen Pfarrern nachweislich nur fünfzehn als „Nazis“ auszumachen – was sich leicht aus den amtskirchlichen und den staatlichen Beitrittsverboten von Geistlichen zur NSDAP erklären lässt – , während als Gegner lediglich sechs Pfarrer zu ermitteln waren: fünf wegen des Vorwurfs der „Wehrkraftzersetzung“ und ein „Überläufer“, der in der russischen Gefangenschaft zum Nationalkomitee „Freies Deutschland“ wechselte. Nicht unerwähnt lässt Röw auch die Abweichler in der Amtsführung, sei es durch Vernachlässigung der Dienstgeschäfte aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums, sei es wegen Verstoßes gegen die kirchliche Norm durch heterosexuelle oder homosexuelle Liebesverhältnisse. 

Für die Militärseelsorge insgesamt rückt Röw durch seine detaillierte Beschreibung zudem die weithin unbekannte Tatsache ans Licht, dass katholische und protestantische Seelsorger an einem Ort (Dienstgebäude) ihre Amtsgeschäfte ausübten und sich daher Personalkonstellationen ergaben, die von enger Freundschaft über kollegiale Zusammenarbeit bis hin zu konfliktreichen Auseinandersetzungen reichten. Auch die Feldgottesdienste, die für alle christlichen Soldaten unabhängig von deren Konfession veranstaltet wurden (interkonfessionelle, überkonfessionelle Gottesdienste), stellen ein kaum beachtetes Ausnahmephänomen, nicht zuletzt aber ein Problem für das katholische Kirchenrecht dar. 

Die Quellen aus dem Krieg geben den Blick auf die Begeisterung der Militärgeistlichen bei Siegen der deutschen Wehrmacht und deren Freude über die gewaltsame Revision des Versailler Vertrags frei. Militärpfarrer kamen ihrem staatlichen Auftrag nach, die „Kampfkraft“ der Truppe in jeder Weise zu fördern. Röw analysiert eingehend die Erkenntnis der Pfarrer über den Charakter der nationalsozialistischen Kriegführung gegen die Sowjetunion als ideologischer Eroberungs- und Vernichtungskrieg (S. 410-425). Trotz ihres Wissens über die Massenerschießungen von sowjetischen Kommissaren, Gefangenen, angeblichen Partisanen, Juden und von der Ausbeutung der Bevölkerung schwiegen sie.[1] Ein bislang einziger nachweislicher Protest gegen die geplante, schließlich auf Befehl General von Reichenaus vollzogene Ermordung von neunzig jüdischen Kindern führte lediglich zum Aufschub dieses Verbrechens. Die protestierenden Militärgeistlichen wurden nicht sanktioniert (S. 422-423). Als schwerwiegendste Folgen des allgemeinen Schweigens zu den Verbrechen wertet Röw daher, dass die Soldaten den Eindruck gewinnen mussten, „als würden auch ihre Seelsorger die ‚Notwendigkeiten’ eines ‚besonderen Krieges’ anerkennen oder zumindest nicht verurteilen.“ (S. 417). „Allein die Präsenz katholischer Priester in einem Krieg, in dem es zu Massentötungen und Verbrechen unüberschaubaren Ausmaßes kam, konnte den deutschen Kämpfern bereits die beruhigende Illusion suggerieren, dass sie trotz der eigenen (in)direkten Beteiligung an ihnen oder des Wissens darüber anständige Leute geblieben waren, welche die Verbindung zu einer friedensstiftenden Religion bewahrt hatten. Wehrmachtpfarrer leisteten damit ungewollt und sicher unbewusst einen Beitrag zur Normalisierung des Vernichtungskrieges.“ (S. 353). Die katholische Beichte mit Absolution für Kriegsverbrecher dramatisiert diese Wirkung noch: „Mit der spezifischen Funktion als Friedens- und Troststifter für diese Männer waren Geistliche zumindest mittelbar Teil eines militärischen Systems, das Massenverbrechen ermöglichte. Die katholische Lehre und das Priesterethos machte es den Pfarrern unmöglich, diese Soldaten zu verstoßen und ihre Taten als das zu benennen, was sie waren: Verbrechen an der Menschlichkeit. Der Vernichtungskrieg wurde in der Kommunikation gleichsam diskursiv ‚normalisiert’. Das tröstende Wort und die Sakramentenspendung durch einen Mann Gottes konnte den einzelnen Mann glauben machen, er sei trotz des offensichtlichen Kulturbruchs, der vielen deutschen Soldaten vor Augen stand, (egal, ob sie daran beteiligt waren oder nicht,) Teil einer Kulturnation mit unverrückbaren religiösen und friedensstiftenden Fundamenten geblieben.“ (S. 380). Im Vernichtungskrieg existierten somit „Frömmigkeit und Verbrechen nebeneinander.“ (S. 425).

Abschließend seien nur einige Anregungen genannt, durch die Röws wichtige Arbeit noch hätte gewinnen können. Die Anlage einer Datenbank aller katholischen Militärgeistlichen des Zweiten Weltkriegs könnte das Profil dieses Kollektivs einerseits und einzelbiografischer Lebens- und Dienstverläufe andererseits präziser zeichnen, weil es schier unmöglich ist, Massendaten rein deskriptiv zu erfassen. Da die katholischen (und militärischen) Personalakten in der Regel sorgfältig geführt und überliefert sind, wäre eine sozialhistorische Auswertung unbedingt anzuraten, zumal es inzwischen eine Modelldatenbank gibt, die entsprechend angepasst, optimale Ergebnisse liefern könnte. [2]

Die Einordnung der Geistlichen als nur vom „katholischen Milieu“ geprägten Persönlichkeiten erscheint mir bei kirchlichen Amtspersonen zu kurz gegriffen, da sie durch Theologiestudium und Priesterseminar regelrecht formiert wurden und eher „Manager“ des Milieus waren. Hier wären die für die Amtsführung wesentlichen Prägungen durch die sehr unterschiedlichen traditionellen oder neueren theologischen Richtungen (z.B. thomistische oder reformkatholische Ansätze) vermutlich aufschlussreicher.

Ein detailliertes Quellenverzeichnis der aus der Zeit vor dem 8. Mai 1945 stammenden Quellen (Tagebücher, Aufzeichnungen, Kalender usw.) und der späteren gedruckten oder ungedruckten Erinnerungen würde die notwendige quellenkritische Einordnung der von Röw zitierten, weitgehend – aus meiner Sicht unbegründet – anonymisierten (oder mit Pseudonym versehenen) Dokumente für die Leserschaft ermöglichen. Seinen richtigen methodischen Ansatz, Quellen aus der Zeit zu verwenden und nicht Erinnerungen an die Zeit, kann Röw nämlich nicht immer konsequent durchhalten. Er stützt seine Darstellung daher auch auf gemischte Dokumentengruppen, zuweilen sogar nur auf Erinnerungen (z.B. S. 248, 254-255, 267, 289, 349), ohne immer zu diskutieren, was das hinsichtlich des Aussagewerts für die betreffende Fragestellung bedeutet, nicht zuletzt durch häufige Selbstinterpretation von Feldgeneralvikar Werthmann, dessen Sammlung im Archiv des Katholischen Militärbischofs in Berlin den weitaus größten Teil des Quellenbestands ausmacht.

Auch ein bei Dissertationen übliches Personen-, Orts- und Sachregister fehlt leider, wodurch der beim Lesen entstandene, vielleicht nicht immer zutreffende Eindruck häufiger Zitierweise einzelner Pfarrer – und damit der dominanten Sichtweise weniger Geistlicher – überprüfbar wäre.

[1] Hinsichtlich des Schweigens zur Ermordung der Juden, die Militärpfarrer als Zeitzeugen mit erlebten, sei auf ein spezifisch religiöses Deutungsmuster hingewiesen, das darin heilsgeschichtlich das „Gottesgericht“  gegen „die Juden“ als „Gottesmörder“ sah; vgl. Leugers, Antonia, Jesuiten in Hitlers Wehrmacht. Kriegslegitimation und Kriegserfahrung (= Krieg in der Geschichte, Bd. 53), Paderborn u.a.  2009, S. 95-96.

[2] Vgl. Gast, Holger/ Leugers, Antonia/ Leugers-Scherzberg, August H., Optimierung historischer Forschung durch Datenbanken. Die exemplarische Datenbank „Missionsschulen 1887-1940“ (Klinkhardt forschung), Bad Heilbrunn 2010; Gast, Holger/ Leugers, Antonia/ Leugers-Scherzberg, August H./  Sandfuchs, Uwe, Katholische Missionsschulen in Deutschland 1887-1940 (Klinkhardt forschung), Bad Heilbrunn 2013.