Hartwig Hohnsbein   "Des Kriegsherrn treue Kirche"

(Zeitschrift "Ossietzky" 25/2000) Vor zehn Jahren war es für die DDR-Kirchen noch ein Akt des Glaubens, bei der kirchlichen Wiedervereinigung den westdeutschen Militärseelsorgevertrag von 1957 für ihr Gebiet nicht zuzulassen, um »nicht dem Bundesverteidigungsminister dienen zu müssen« – so damals Pfarrer Axel Noack, jetzt evangelischer Landesbischof in Magdeburg. Wenn im Frühjahr 2001 die evangelische Kirche mit der Bundesregierung über die künftige Militärseelsorge verhandelt, dann wird, wenn nicht alles täuscht, das Gegenteil herauskommen; dann wird die vereinigte Kirche endlich wieder sein, was sie immer gewesen ist: ein treuer Vasall des Staates, vor allem im Falle des Krieges.

Die bisher einzige Studie zur Geschichte der Militärseelsorge stammt vom ehemaligen Wehrmachtsdekan der Nazi-Armee, Albrecht Schübel. Sein Buch "300 Jahre evangelische Soldatenseelsorge" erschien 1964, offiziell empfohlen durch die Vorworte des Bonner Militärbischofs Kunst und des Bundeswehr-Generalinspekteurs Foertsch, denen seine Grundthese zum 2.Weltkrieg nur zusagen konnte: »Die Frage, ob Adolf Hitler den Krieg wollte, wird in der Geschichtsschreibung verschieden beantwortet.« Jedenfalls: »Der Generalstab und die einsichtige Generalität wollten keinen Krieg.«

Anfang und Vorbild der evangelischen Soldatenseelsorge sieht Schübelin der »Frömmigkeit« des schwedischen Heeres während des 30jährigen Krieges, das der Bevölkerung allerdings wegen seiner besonderen Grausamkeit in Erinnerung geblieben ist. Und diese Tradition, in die Brutalität der Kriege eingebunden zu sein, wurde von der evangelischen Kirche nie in Frage gestellt; vielmehr zog sie gerade daraus jahrhundertelang einen Teil ihrer gesellschaftlichen Anerkennung. Nach dem 1.Weltkrieg geriet sie eine Zeitlang ins Wanken, doch durch die »Militärkirchliche Dienstordnung« von 1929 wurde sie erneut befestigt, und zwar dergestalt, dass die Militärpfarrer rechtlich sowohl an den  Staat (den Reichswehrminister) als auch an die Kirche gebunden blieben. Für die geplanten Eroberungskriege wurde die »Dienstordnung« mehrfach präzisiert, z.B. am 21. August 1939 durch das »Merkblatt über Feldseelsorge« mit der klaren Zweckbestimmung: »Die Feldseelsorge ist ... ein wichtiges Mittel zur Stärkung der Schlagkraft des Heeres.« Trotzdem oder gerade deswegen konnten sich die Einstellungsbehörden vor Bewerbern kaum retten, fast 1.000 Pfarrer meldeten sich, die längst nicht alle eingestellt werden konnten, auch wenn sie gleich eine Bereitschaftserklärung unterschrieben hatten, »rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten«.

Im Mai 1942 erließ der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Keitel, abermals »Richtlinien für die Durchführung der Feldseelsorge«. Angesichts der Wehrmachtsverbrechen in der Sowjetunion und auf dem Balkan, die den christlichen Heeresverkündigern nicht verborgen blieben, wurde ihnen eingeschärft: »Der siegreiche Ausgang desnationalsozialistischen Freiheitskampfes entscheidet die Zukunft der deutschen Volksgemeinschaft. Die Wehrmachtsseelsorge hat dieser Tatsache eindeutig Rechnung zu tragen.« Und sie trug Rechnung, hundert prozentig; vor allem durch ihre Predigten.

In der ersten Phase des Krieges, bis Sommer 1941, als Hitlers Armeen Land für Land völkerrechtswidrig unterwarfen, ausplünderten und die Bevölkerung drangsalierten, waren die evangelischen Predigten auf Dank an Gott und den »Führer« sowie auf Jubel und Siegeszuversicht programmiert. »Ein Stück nationaler Schande von einst ist durch gewaltige neue Taten ausgelöscht«, so Hanns Lilje, der spätere hannoversche Landesbischof, in einer Musterkriegspredigt im Juni 1940 nach dem Sieg über Frankreich.

In der zweiten Phase, vom Überfall auf die Sowjetunion 1941 bis zur Schlacht um Stalingrad 1942/43, wird der Vernichtungskrieg begrüßt gemäß dem Gebetswunsch des obersten evangelischen Christen, Landesbischof Marahrens, an den »Führer«, den »Pestherd Bolschewismus zu beseitigen«. In einer Musterkriegspredigt dazu heißt es: »Habt ihr die Gesichter der gefangenen Russen gesehen? Stumpf, leer, verwahrlost und verkommen, die Maske des Teufels... Die wenigsten unter uns ahnten die ungeheure Gefahr, die uns drohte, darum können wir alle auch nur eines sagen: Gott sei Dank, dass er uns in den Kampf gerufen, Gott sei Dank, dass er unsere Waffen segnete.«

Ganz in diesem Sinne ist auch die Broschüre »Weihnachten« verfasst, die der evangelische Feldgeneralvikar, Friedrich Münchmeyer, der Stellvertreter des Feldbischofs Franz Dohrmann, gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen Georg Werthmann zu Weihnachten 1941 herausgab. Darin wird das Fest des »Friedens auf Erden« zu einem »Fest der Kameradschaft«, die sich im Kampf gegen den Bolschewismus bewährt; der Engelsgesang (»Fürchtet euch nicht!«) wird zur antikommunistischen Kampflosung; die Parole geht gegen das »Untermenschentum« und den »Vernichtungswillen östlicher Barbarei«.

Diese beiden Theologen, die sich für Kriegsverbrechen stark machten,durften – wen wundert‘s? – nach 1945 ihre Karrieren fortsetzen. Werthmann baute die katholische Militärseelsorge wieder auf; Münchmeyer wurde erster Präsident des Diakonischen Werkes und zugleich Präsident der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege.

Für die dritte Phase des Krieges, von Stalingrad bis zum Ende, wurde das »Trostamt der Kirche« ausgerufen. In einer aus dem belagerten Stalingrad überlieferten Predigt klang das zu Weihnachten 1942 so: »Keiner von uns ist ohne Trost! Wir sind keine hoffnungslosen Leute, wir haben eine große Zukunft, jeder von uns ganz persönlich... wenn wir auch nicht das Dunkel, das uns umgibt, zu durchdringen vermögen.« Diese »große Zukunft« endete für die meisten in einem jämmerlichen Tod.

Nun war mehr als Predigen, »persönliche Zuwendung« nämlich, gefragt: bei Kranken und Verwundeten oder wegen »Fahnenflucht« zum Tode verurteilten Soldaten, die auf den Tod vorzubereiten waren. Das geschah selten in so anspruchsvollen Gesprächen wie vom Pfarrer-Dichter Albrecht Goes in seiner Novelle »Unruhige Nacht« (1950) geschildert; oft musste es ratz-fatz gehen: »Nach Verlesung des Urteils am Hinrichtungsplatz sprach der Pfarrer, dem Todgeweihten ganz nahe gegenüberstehend, noch ein Bibelwort, trat dann auf die Seite, worauf sofort der Schießbefehl gegeben wurde«, wie bei Schübel zu lesen ist.

Mit dem Ende des Krieges sahen die Militärseelsorger »einen segensreichen Abschnitt zum Abschluss gekommen« (ebenda); jetzt galt es, unverzüglich zu Gefangenenseelsorgern zu werden, und zwar für die Wehrmachtskriegsverbrecher. Insbesondere bekämpften sie nun das »allem Rechtsempfinden hohnsprechende Gesetz des Militärtribunals in Nürnberg«, bis dann durch den neuen Militärseelsorgevertrag (1957) der alte Wein des Militarismus aus neuen Schläuchen wieder ausgeschenkt werden konnte. Er hat schon wieder viele besoffen gemacht. Seit dem Jugoslawienkrieg 1999 ist die Militärseelsorge nach eigenen Aussagen »bei den Soldaten wieder überraschend wichtig geworden«; und die Gesamtkirche ist auf dem Wege, zu einer Militärkirche zu werden. Dabei will sie vergessen machen, dass sie in die Verbrechen der Wehrmacht ebenso verstrickt war wie in das Verbrechen der Zwangsarbeit und des Holocaust; mehr noch: Als Teil der Wehrmacht ist die Kirche wegen ihrer Militärseelsorge auch rechtlich mitverantwortlich zu machen, z.B. für Massaker an der Zivilbevölkerung in Griechenland. Dort hat der oberste Gerichtshof kürzlich festgestellt, dass die Bundesrepublik für die Hinterbliebenen des Massakers in Distomon eine Entschädigung von 56 Millionen Mark zu zahlen habe.

Es gibt viele ähnliche Orte, und die Verbrechen geschahen nicht weit von den Dienstsitzen der Militärpfarrer. Reparationen in Höhe von 7,1 Milliarden Dollar sprach die Pariser Konferenz der Siegermächte den Griechen 1946 zu; 115 Millionen Mark überwies die Bundesrepublik ihnen 1960 als »Entschädigung«; damit soll‘s genug sein und basta, meint die derzeitige Bundesregierung. Die evangelische Kirche hat für ihre Schuld bisher gar nichts bezahlt; es müssten weit mehr sein als jene zehn Millionen, die von ihr zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter bereitgestellt worden sind. Vorschlag: 56 Millionen Mark sollte sie, ihrer Schuld eingedenk, nun für die Hinterbliebenen in Distomon bereitstellen, bevor sie demnächst mit der Bundesregierung über die Militärseelsorge verhandelt. Damit könnte sie den Staat ermuntern, seinerseits zu zahlen, was er schuldig ist. Doch wird ein Diener wagen, seinem Herrn solches zu sagen? Übrigens: Auch im völkerrechtwidrigen Krieg gegen Jugoslawien ist die Kirche mit ihrer Militärseelsorge und ihrer Zustimmung zu den Bombardements dabei gewesen. Auch hier hat sie Schuld und Schulden auf sich geladen wie die Angreifer insgesamt. Auch hier wird sie gewiss eines Tages zur Rechenschaft gezogen werden, vielleicht in zehn, vielleicht in 55 Jahren, Gottes Mühlen mahlen bekanntlich langsam.

Der Magdeburger Bischof Noack ist eines der acht Mitglieder der kirchlichen Arbeitsgruppe, die die Verhandlungen mit der Bundesregierung vorbereiten soll. Werden Sie, Herr Landesbischof, sich nun an das Nein der DDR-Kirchen zur Übernahme des westdeutschen Militärseelsorgevertrags erinnern und an Ihr eigenes Bekenntnis damals im September 1990: Die »Infragestellung« des Vertrags werde »im Zweifelsfalle so weit zu gehen haben, dass sie aus militärischer Sicht als Wehrkraftzersetzung verstanden werden muss«? Oder haben die vergangenen zehn Jahre Ihren Glauben zersetzt?

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