Prof. Hans-Martin Gutmann "Praktisch-theologische Reflexionen zu Riskanten Liturgien am Beispiel des ZDF-Fernsehgottesdienstes vom 15.5.11 aus der Abflughalle Köln-Wahn: Freiheit – am Hindukusch verteidigt?"

Beitrag zu der theologischen Studientagung "Säkular oder sakral?" der Ev. Akademie Villigst in Kooperation mit der Konferenz für Friedensarbeit im Raum  der EKD, 24.-25.01.2012 in Mainz, epd-Dokumentation Nr. 29/12, S. 18-24, GEP-Vertrieb, Postfach 50 05 50,  60394 Frankfurt/M., Tel. (069) 58098-191 bzw. über vertrieb@gep.de. Hier der Text als pdf-Datei.

Meine Damen und Herren,

der Terminus „riskante Liturgie“ trifft, wie Kristian Fechtner und Thomas Klie in ihrem gleichnamigen Buch gezeigt haben ["Riskante Liturgien. Gottesdienste in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Stuttgart 2011"], einerseits auf jeden Gottesdienst, insofern hier Gott namhaft gemacht, das Evangelium kommuniziert und damit öffentlich aufs Spiel gesetzt wird – und damit Liturginnen und Liturgen etwas gestalten und verantworten, über dessen Wirkung sie nicht verfügen und dessen Rezeption sie allenfalls erahnen können. [Ebd., 8] Im Fall des ZDF- Fernsehgottesdienstes vom 15. Mai 2011 treten zwei Bedeutungsdimensionen des Riskanten hinzu: Als Fernsehgottesdienst ist diese Liturgie von vornherein auf eine doppelte Öffentlichkeit bezogen, die vor Ort feiernde Gottesdienstgemeinde und die virtuelle Gemeinde an der Bildschirmen, und die Fernsehredaktion für diese Gottesdienstform hat beispielsweise mit Bildauswahl und Schnitt, mit Vorgaben für die Zeit, die für einzelne Beiträge und die Dynamik insgesamt zur Verfügung steht, erheblichen Einfluss auf die Liturgiegestaltung in Kooperation und bisweilen in Konflikt mit denen, die vor Ort für den Gottesdienst verantwortlich sind. [Vgl. Charlotte Magin/Helmut Schwier, Kanzel, Kreuz und Kamera. Impulse für Gottesdienst und Predigt.] Und: hier handelt es sich um einen Gottesdienst, der nicht in einer Kirche, sondern in einer Abflughalle stattfindet, ein gefilmter und für die filmische Situation aufgestellter Gottesdienst zudem, der in seiner Bildauswahl, den Körperinszenierungen, seinen musikalischen Plots und seiner thematischen Konzentration auf Militär, speziell auf den Einsatz deutscher Soldaten in Krisengebieten und damit auf ein gesellschaftlich umstrittenes Thema bezogen ist.

Riskante Liturgien haben, wie Kristian Fechtner und Thomas Klie zeigen, ihren signifikanten Ort und ihre eigene Zeitlichkeit und Zeitbezogenheit. Sie fordern eine klare Gestalt für die gottesdienstliche Geste und Prägnanz in ihrer Formensprache. Ihr Gelingen hängt u.a. davon ab, inwieweit sie jenseits der repräsentativen Logik der Berücksichtigung von beteiligten Institutionen auch persönliche Teilhabe ermöglichen und sichtbar werden lassen. Und:

„Riskante Liturgien sind selbst theologisch riskant, wo sie sich fremden Systemlogiken und Imperativen – des Staates, des Militärs, des Sports, der Medien – fügen. Wie unter zivilreligiösen Bedingungen auch das Prophetische gewagt werden kann, ist eine offene Frage.“ [Fechtner/Klie Hrsg., a.a.O., 18]

Mit diesen Perspektiven im Hinterkopf trage ich Wahrnehmungen und Interpretationen zum Fernsehgottesdienst vom 15.Mai 2011 zusammen.

1. Die Inszenierung des Ortes

Der Fernsehgottesdienst beginnt mit einem Schwenk über einen weiten offenen Platz, auf dem ein großes Militärflugzeug zu sehen ist. Die Kamera schwenkt auf das Gebäude der Abflughalle von außen – eine große Fensterfront in der Mitte, deutlich kein kirchlicher Raum – und fährt dann im Innern dieses Raumes durch die versammelte Gemeinde: Familien mit Kindern, Männer teilweise in Uniform, Posaunenchor und Männerchor, ebenfalls teilweise uniformiert. Das Gestühl ist zur Fensterfront hin geordnet, die durch das Militärflugzeug draußen dominiert wird – die Aufschrift „Luftwaffe“, die Zahl 26 und ein großes Kreuz als militärisches Abzeichen sind immer dann im Bild, wenn eins von den beiden Redepults, oft auch dann, wenn der Posaunenchor oder der Männerchor im Bild sind.

Auch am größeren der beiden Redepulte ist – neben Blumen und Parament mit Pfingstmotiv – ein Kreuz angebracht, allerdings kleiner und weniger deutlich als das militärische Kreuz auf dem Flugzeug. Die deutlichere symbolische Repräsentanz liegt, schon vor jeder gottesdienstlichen Sprechhandlung und vor jedem Gemeindelied oder anderem musikalischen Beitrag, beim Militärkreuz des Flugzeugs gegenüber dem kleinen Kruzifix am Sprechpult.

Der Raum ist zwar nicht als Kirchenraum erkennbar, aber er ist in seiner Größe für die anwesende Gottesdienstgemeinde passend und hell. Dies erscheint mir als wichtiger und heilsamer Unterschied zu der damals ebenfalls vom Fernsehen übertragenen, ebenfalls in Köln-Wahn stattfindenden zentralen Trauerfeier für in Afghanistan getötete Soldaten, die am 24.Mai 2007 im riesigen Hangar 3 auf dem militärischen Teil des Flughafens stattfand und keinen umgrenzen und umfriedeten Raum für die gottesdienstliche Feier geboten hatte. [Vgl. Gertrud Schäfer, Sie haben ihr Leben riskiert. Zentrale Trauerfeier für in Afghanistan getötete deutsche Soldaten (2007/2010), in: Fechtner/Klie, a.a.O., 43ff.]

2. Die Liturgie

Der Verlauf der Liturgie folgt im Wesentlichen – allerdings mit einigen signifikanten Abweichungen – der Form des Evangelischen Gottesdienstbuches ohne Abendmahl mit den Sequenzen: Eröffnung und Anrufung; Verkündigung und Bekenntnis; Sendung und Segen.

- Eröffnung und Anrufung -

Der Bundeswehrpfarrer in Talar eröffnet in seiner ersten Sprechhandlung mit einem trinitarischen Votum, damit ist das Subjekt, in dessen Namen dieser Gottesdienst gefeiert wird, prägnant ausgesprochen. Er begrüßt die Gemeinde vor Ort und die Fernsehzuschauer, erwähnt den außergewöhnlichen Ort. Während dieses Sprechaktes ist das Militärflugzeug die ganze Zeit im Bild.

Ein uniformierter Soldat spricht vom zweiten Pult über Gefühle beim Aufbruch in den Einsatz, der Militärpfarrer kommentiert mit vertiefenden Ambivalenzen: Leben und Tod, Verwundung, aber auch Schuld sind bei den Militäreinsätzen Wirklichkeiten, die für die Beteiligten immer im Spiel sind. Dieser Eröffnungsteil wird durch die Begrüßung des Predigers, des EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider, und des Bundesverteidigungsministers de Maizere abgeschlossen, der eine Lesung halten soll; die Kamera schwenkt auf beide Persönlichkeiten.

Es folgt ein erstes Lied, das vornehmlich von Männerchor und Posaunenchor gestaltet wird: „Kommt herbei, singt dem Herrn.“ Dabei schwenkt die Kamera auf die Singenden und Musizierenden und fährt durch die Gemeinde: abgesehen von den Uniformen eine Gemeindesituation, die für Familiengottesdienste mit der Beteiligung von Jugendlichen und Kirchen typisch erscheint.

Es folgt ein Teil, für dessen Verortung im Gottesdienstteil „Eröffnung und Anrufung“ ich die Zuordnung zum dann folgenden „Kyrie – Herr erbarme ich“ sinnvoll finde; ich verstehe diese gesamte Sequenz also im Sinne eines erweiterten Kyrie. Es handelt sich um eine Reihe von Voten aus Ich-Perspektive, unterbrochen durch Musik des Posaunenchores. Während die Sprechakte eher besinnlich sind, wirkt die Musik mit ihrer schwungvollen Bläsersatz- Vertonung bekannter Weisen aus dem Folk- und Countrymilieu (Reinhard Meys „Über den Wolken“, John Denvers „Rocky Mountain High“ und Rick Hornsbys „The Red Plains“ bisweilen atmosphärisch etwas deplaziert, unterbrechen sie doch emotional dichte, Gefühlsambivalenzen artikulierende, intensiv getönte Sprechakte: Eine Ehefrau spricht über ihre Gefühle, wenn sie ihren Mann in den Auslandseinsatz verabschiedet, ihr Mann (in Uniform) von gemischten Gefühlen angesichts immer drohender Anschläge, dann wieder die Ehefrau über die überwältigende Freude des Kindes, als der Papa nach Hause kommt („ich sehe Papa nicht an …“), der Ehemann übernimmt wiederum mit einer Äußerung der Dankbarkeit, heil zurückgekehrt zu sein. Ein zweiter uniformierter Soldat beantwortet seine eigene Frage, ob ein Soldat weinen dürfe, mit der Erzählung einer Szene, in der er in Afghanistan ein ersehntes Paket seiner Familie erhält und der Inhalt kaputtgegangen ist. Am intensivsten wirkt auf mich die Schilderung eines dritten Soldaten – und am wenigsten passend die schmissige musikalische Antwort –, der von einer Rückkehr aus Afghanistan berichtet und von der Landung auf dem Flughafen Köln-Wahn, wo der Ort bereits für eine militärische Trauerfeier inszeniert wird – der Sprecher vermutet, dass der verstorbene Kamerad im selben Flugzeug wie er selbst mitgereist ist.

Es folgt jetzt, wiederum durch Voten des Liturgen erweitert, die ausdrückliche Liturgie- Station des Kyrie; in die Bitte um Erbarmen einbezogen wird ein Hinweis auf das Schicksal zurückgekehrter Soldaten, das allzu oft unbeachtet bleibt und deren weitere Lebensperspektiven unklar sind. Auch das jetzt folgende Gloria wird inhaltlich auf die Situation bezogen: „Bei allem, was sich nicht lösen lässt, gilt Gottes feste Zusage: seine Gnade, sein Bund, sein Friede.“ Der Gottesdienstabschnitt „Eröffnung und Bekenntnis“ wird mit einem durch den Liturgen gesprochenen Kollektengebet abgeschlossen. Es beinhaltet eine Zusage: Das Licht des Lebens gilt denen, die niedergedrückt am Boden sind; das Gebet schließt mit der Bitte, sich auf den Weg zu m machen und Jesus Christus als dem höchsten Gut zu folgen.

Blickt man auf den ersten Abschnitt dieser gottesdienstlichen „Reise“, also den Liturgieteil „Eröffnung und Anrufung“ insgesamt, so sehe ich hier – bis auf die in ihrer Schmissigkeit bisweilen emotional unpassenden musikalischen Beiträge – eine insgesamt gelungene seelsorgerliche Orientierung auf die Gefühlsambivalenzen und Lebenssituationen von Soldat_innen, die an Auslandseinsätzen teilnehmen, und ihren Familien. Die Sprechakte sind auf diese Binnenperspektive konzentriert, die zugleich die Binnenperspektive der vor Ort versammelten Gemeinde gut treffen dürfte. Der ständig präsente Blick auf das Militärflugzeug hat in diesem Gottesdienstteil – neben der symbolischen Übermalung des Kruzifix im Gottesdienstraum durch das Militärkreuz – die symbolische Funktion, Aufbruch in und Rückkehr aus der Welt des gefährlichen und feindlichen Außenbereiches ständig präsent zu halten.

Verkündigung und Bekenntnis

Der zweite große Abschnitt dieser Liturgie, „Verkündigung und Bekenntnis“, beginnt nicht – wie in der Regel – mit einem Gemeindelied, bei dem die Gemeinde als ganze durch den Liedinhalt als Sprechakte und durch die körperliche Gestalt des Singens auch leiblich in die jetzt aufgebaute Atmosphäre einbezogen wird, sondern mit einem etwas länglich anmutenden musikalischen Beitrag des Männerchors: „Swing Low, Sweet Chariot“. Zu diesem Spiritual können die Fernsehzuschauer/innen Portraitbilder und Halbtotale-Aufnahmen des Männerchors und des im Hintergrund parkenden Militärflugzeug eingehend studieren.

Die jetzt folgende Lesung eines ersten Abschnittes aus 1. Könige 19, VV 1-9a (Elias Verzweiflung – er wünscht sich zu sterben - und seine Stärkung durch einen Engel während seiner Flucht in der Wüste – „steh auf uns iss“) wird durch den Soldaten in Uniform gelesen, der bereits in der ersten Liturgiestation der Begrüßung im Bild war; die Lesung wird mit dem Hinweis eingeleitet „Elia steht dafür, wie ein Mensch nicht mehr kann.“ Nach der Lesung folgt bemerkenswerter Weise nicht das Glaubensbekenntnis, das nach der Normalliturgie des Gottesdienstbuches jetzt oder nach der Predigt zu stehen kommt. Ja: Es wird im ganzen Gottesdienst kein Glaubensbekenntnis geben, auch kein Glaubenslied. Ich notiere dies als wesentliche Abweichung von der Gottesdienstordnung, darüber wird in der Auswertung weiter nachzudenken sein. Auch wird der Gemeinde hier kein Raum für ein Lied oder eine andere Form der Resonanz auf die Lesung eingeräumt. Stattdessen singt wieder der Männerchor einen wieder etwas länglich geratenen Spiritual „O Lord, what a morning“, im Bild sind Portraitaufnahmen der Singenden, Halbotale oder Totale auf den Chor, bei der Totale ist jeweils immer das Militärflugzeug im Bild.

Die Predigt des EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider, wie der Bundeswehrpfarrer-Liturg im Talar, thematisiert im Gegensatz zum Einleitungsvotum zur Lesung (Elia als Symbol dafür, „wie ein Mensch nicht mehr kann“) von Anbeginn den Grund für die Verzweiflung des Elia – und damit auch die Ambivalenz dieser biblischen Gestalt: Nachdem Elia einen triumphalen Sieg über konkurrierende Propheten bereits errungen hatte, will er den „totalen Sieg“ und bringt seine Gegner eigenhändig um. Elia wird so als Mensch vorgestellt, der sich in den Gewaltkreislauf hat hineinziehen lassen – er will Rache -, der sein Versagen erkennt („ich bin nicht besser als meine Väter“) und der deshalb sterbensmüde und verzweifelt ist. Der Prediger thematisiert von hier aus die psychologischen Belastungen, denen sich Soldat/innen im Einsatz ausgesetzt sehen. Sie sind bedroht, sie müssen schießen und töten (es werden Bilder mit Kampfszenen eingeblendet, möglicherweise aus Afghanistan). Der Prediger plädiert dafür, diese Menschen nicht allein zu lassen (im Hintergrund ist das Militärflugzeug wieder im Bild). In der Verzweiflung schickt Gott einen Engel (eingeblendet wird ein Renaissance-Bild des niederländischen Künstlers Dieric Bouts, „Elia wird von einem Engel besucht“, von 1466). Auf dem Hintergrund dieser Metapher plädiert der Prediger für einen solidarischen Umgang mit Soldat/innen im Einsatz ebenso wie mit aus einem Einsatz heimgekehrten Soldat/innen: Es geht nicht darum, den Afghanistankrieg gutzuheißen. Wir sind als Familien und Nachbarn gefragt.

In der folgenden Passage thematisiert der Prediger die besondere, aus Schuldbelastung in der jüngeren Geschichte unseres Landes geborene Verantwortung Deutschlands, er erinnert an Paul Celan („Der Krieg ist ein Meister aus Deutschland) und an die Zustimmung der EKD zur Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Resonanz auf die grenzenlose Gewalt des zweiten Weltkrieges: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ „Wir haben gehört, was Gott von uns fordert“. Der Prediger nennt als Konsequenzen: Schuldig wird man im Feld des Krieges durch Handeln ebenso wie durch Nicht-Handeln – er verweist auf die deutsche Zurückhaltung gegenüber dem Libyen-Engagement der NATO; er fordert praktisches Engagement in der Begleitung der Soldaten, fordert die Bitte um Gottes Geist für Orientierung und seelsorgerliches Engagement. Während dieses ganzen Predigtteiles ist das Militärflugzeug mit Militärkreuz Bildhintergrund.

Die zweite Lesung (1.Könige 19, 9b-13) wird vom Bundesverteidigungsminister de Maizere gehalten; hier ist besonders eindrücklich, dass der Oberbefehlshaber der Streitkräfte ausgerechnet die Passagen liest, die von der Abrüstung Gottes in seinem Erscheinen gegenüber den Menschen erzählt: Gott begegnet nicht wie in einem Gewittersturm, sondern in einem leisen Windhauch. Der Prediger Nikolaus Schneider nimmt diese Metapher ausführlich auf, zitiert verschiedene, auch Übersetzungen aus der jüdischen Tradition: Gott begegnet im Windhauch, in einer Stimme verschwebenden Schweigens, in einem zärtlichen Sommerhauch, eine feinfühlige Begegnung. Elia hätte sich ein machtvolleres Gottesbild gewünscht, um die eigene Macht zu stabilisieren. Das Zusammengehen von Gott und Gewalt bleibt dagegen zweideutig, auch im Kampf um Gerechtigkeit. Von hier aus kommt der Prediger ein weiteres Mal eingehend auf die deutsche Verstrickung in Schuld- und Gewaltgeschichte zu sprechen: Die Kirchen haben Töten im Namen Gottes gerechtfertigt. Jesus sieht dagegen den Griff zu Schwert als Verstrickung in den Gewaltkreislauf („Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen“). Es ist unmöglich, böse Gewalt durch gute Gewalt zu überwinden.

Der Prediger notiert an dieser Stelle eine biographische Erinnerung aus einem eigenen Besuch in Afghanistan: in einem „Haus Benedict“ hat er einen Ort der Stille kennen gelernt, Ort auch hier für eine neue, sanfte Gottes- und Menschenbegegnung. Eine solche Begegnung wird, so der Prediger weiter, den Krieg in Afghanistan nicht stoppen, aber die Menschen verändern: sich aufrichten, neu anfangen, Kraft gewinnen. Elia geht gestärkt in den Alltag. Gottes Wort kann stärken, den eigenen Alltag neu zu achten – im Aushalten wie im Aufbrechen.

Die Predigt wird von der Gemeinde beantwortet mit dem Gemeindelied „So ist Versöhnung“, begleitet vom Posaunenchor; zugleich wird für die Fernsehzuschauer/innen der Telefonkontakt für Zuschauerberatung eingeblendet.

Nach meiner Wahrnehmung ist diese gesamte Passage – erster Predigtteil, zweite Lesung durch den Verteidigungsminister, zweiter Predigtteil – durch seelsorgerliche Zuwendung zu den Soldat_innen und ihren Familien geprägt, durch eine verantwortliche Aufnahme der deutschen Schuldgeschichte in Gewalt und Krieg, durch die ausdrückliche Thematisierung der Unmöglichkeit, „schlechte“ durch „gute“ Gewalt zu überwinden – all dies thematisiert an der tiefgründigen Ambivalenz der biblischen Gestalt des Propheten Elia. Ich  sehe in dieser Predigt und auch in der symbolischen Zuordnung von militärischem Oberbefehlshaber und der biblischen Textpassage, die von der Abrüstung Gottes in seiner Selbstoffenbarung gegenüber den Menschen erzählt, eine gegenüber dem biblischen Text ebenso wie gegenüber der Situation der Zuhörenden verantwortliche, treffende und berührende Verkündigung.

Die Bildkomposition der Fernsehaufnahmen mit dem Militärflugzeug im Hintergrund stellt diese gelungene Zusage in einen Kontext, der für die Soldat_innen und ihre Familie Aufbruch in den Einsatz und Rückkehr symbolisieren mag, für viele Fernsehzuschauer allerdings zugleich eine Übermalung der um Unterbrechung von Gewalt fokussierten Predigt durch ein Kriegsgerät, die Übermalung des Kruzifix auf dem Redepult durch das Militärkreuz  andeuten kann.

Der Liturgie-Abschnitt „Verkündigung und Bekenntnis“ bleibt zugleich dadurch problematisch bestimmt, dass das Bekenntnis weggelassen wurde – eine nur schwer verständliche liturgische Entscheidung, jedenfalls nicht zu motivieren durch eine religiöse oder weltanschauliche Offenheit; denn dass es sich hier um einen  christlichen, evangelischen Gottesdienst handelt, wird vom trinitarischen Eingangsvotum an in allen Sprechhandlungen deutlich ausgesprochen.

Sendung und Segen

Die dritte und letzte Liturgiestation dieses Gottesdienstes beginnt mit Voten des uniformierten Soldaten und seiner Ehefrau, die bereits aus dem Eingangsteil des Gottesdienstes bekannt sind; ich werte dieses Votum als Scharnier, das auf der einen Seite auf die bisherigen Gottesdienstschritte zurückverweist und zugleich die Fürbitten einleitet. Inhaltlich werden Wünsche ausgesprochen: Als Soldat im Einsatz wert geschätzt zu werden, sich gegenseitig im Blick behalten, wohlbehalten nach Hause kommen, mehr Rückhalt in der Gesellschaft finden. Es folgt ein sehr langer (über 2,30 Minuten) Beitrag des Bläsersatzes mit dem sehr zu Herzen gehenden Musikstück „Danny Boy“ bzw. „Londonderry Air“; wer den wunderbaren englischen Spielfilm über die drohende Schließung eines Bergmann-Orchesters nach der Pleite ihrer Grube, „Breast off““, einmal gesehen hat, wird die emotional anrührende Wirkung dieses Stückes nachempfinden können.

Das Fürbittengebet selbst wird im Wechsel zwischen einem uniformierten Soldaten und dem Militärpfarrer im Talar gesprochen. Unterbrochen durch Kyrie-Rufe (nach der Melodie von Pete Janssen aus den 60er Jahren) wird Schutz, Geborgenheit und Halt für die Soldat/innen im Einsatz, für Familien und Freunde erbeten, es wird darum gebetet, all diese Menschen nicht allein zu lassen, für die Menschen in den Einsatzgebieten, die verletzt werden, auch für die in Kampfhandlungen verletzten und getöteten Zivilisten. Es wird nicht für die Feinde gebetet – hier sehe ich eine angesichts der Forderung Jesu zur Feindesliebe massive Weichenstellung und Abweichung gegenüber dem, was christlich in einer Fürbitte angesichts von Kriegssituationen unbedingt gefordert wäre. Es wird nicht für die Angehörigen nichtchristlicher religionen und auch nicht ausdrücklich um Religionsfrieden gebetet – dies ist in Kriegen, in denen wie in Afghanistan und Bosnien ethnische, politische und soziale Konflikte immer zugleich religiös begründet und verschärft werden, auch unter dem Aspekt der zivilreligiösen Wirkung dieses Gottesdienstes eine brisante und bestreitbare Entscheidung.

Das ans Fürbittengebet anschließende Vater Unser wird von der Gemeinde im Sitzen gebetet, in einem knappen Gemeindelied (EG 171, bewahre uns Gott) wird Segen erbeten, der Prediger Nikolaus Schneider spricht hierauf den Aaronitischen Segen. Während die Bläser eine letzte Musik anstimmen, ist im Schlussbild der Fernsehübertragung wieder das Militärflugzeug zu sehen.

3. Riskante Liturgie

Dieser Gottesdienst hat mehrere ineinander verschachtelte Bedeutungsdimensionen und Wirksamkeiten, er hat mehrere Intentionen, verschiedene Öffentlichkeiten – eine differenzierte und brisante Gemengelage. Für die vor Ort versammelte Gemeinde ist dieser Gottesdienst vor allem seelsorgerlich bezogen auf die Lebenssituationen von Soldat_innen und ihren Familien, die mit der Erfahrung von Trennung, Aufbruch bzw. Abschied in eine gefahrvolle und unkalkulierbare Situation, zudem mit der Wahrnehmung fehlender oder doch zumindest geringer Achtung dieser Lebenshingabe durch große Teile der deutschen Gesellschaft leben müssen und gerade in diesem Punkt auf einen Wandel zum Besseren hoffen. Auf diese Zuhörersituation ist der Gottesdienst in großen Teilen bezogen. In manchen Passagen, insbesondere in den schmissigen musikalischen Unterbrechungen von intensiven Mitteilungen persönlichen Ergehens und ambivalenter Gefühle, wird die emotionale Situation durch die Darbietung des Liturgenteams – zählen wir einmal die Musiker_innen hinzu – zu wenig unterstützt. Die Predigt geht auf diese Zuhörer/innensituation gut ein, bricht sie in wichtigen Passagen auch in Richtung auf Problematisierung und Infragestellung auf, insbesondere wenn an die besondere deutsche Verantwortung vor der jüngeren Verstrickungs- und Schuldgeschichte unseres Volkes erinnert wird und wenn die biblische Zu- und Ansage („Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen“) gegen den archaischen Opfer-Mechanismus gestellt wird, nach dem die „böse“ Gewalt durch die „gute“ Gewalt zur Strecke gebracht werden soll. In dieser ersten Perspektive: Gottesdienst für die vor Ort versammelte Gemeinde – handelt es sich, so meine These, nicht um eine riskante, sondern um eine weithin gelungene Liturgie.

Dieser Gottesdienst zielt als ZDF-Fernsehgottesdienst zugleich auf eine weitere Öffentlichkeit, die medial erreicht werden soll. Mit der Programmankündigung „Freiheit – am Hindukusch verteidigt?“ wird von vornherein eine Erwartungshaltung erzeugt, dass in diesem Gottesdienst zu einer in unserer Gesellschaft weithin umstrittenen politischen Frage Stellung bezogen wird, in der sich die Vorgängerin des Predigers in diesem Gottesdienst, die EKD- Ratsvorsitzende Bischöfin Margot Käßmann eindeutig profiliert hatte: „Nichts ist gut in Afghanistan“.

In diesem weiteren medial vermittelten Feld von Erwartungen und erwartbaren Resonanzen zielt die Predigt des Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider offensichtlich auf Differenzierung und Problematisierung von Eindeutigkeiten. Er erinnert an die deutsche Schuldgeschichte in Krieg und Gewalthandlungen und an die Zustimmung der EKD zur Formel des Ökumenischen Rates 1948, „Krieg soll nach Gottes willen nicht sein“, er problematisiert den Opfer-Mechanismus, durch „gute“ Gewalt „böse“ Gewalt überwinden zu wollen, er nimmt die Übersprungshandlung des biblischen Propheten Elia, sich nach einem eigentlich schon errungenen Sieg über die gegnerischen Propheten zu einem Massaker hinreißen zu lassen, und seine daran anschließende Depression als symbolische Möglichkeit, all diese Ambivalenzen
anzusprechen – und er beharrt zugleich auf der Forderung, dass die deutschen Soldaten, die zu Einsätzen in Kriegsgebieten aufbrechen, von der deutschen Gesellschaft stärker wertgeschätzt und unterstützt werden sollen. Auf die Themenankündigung „Freiheit – am Hindukusch verteidigt“ ist dies eine nach meinem Eindruck gerade in der Verweigerung einer einlinigen Antwort wohltuende, Diskurs und unterschiedliche Stellungnahmen bei gleichzeitiger wechselseitiger Achtung herausfordernde Orientierungsmöglichkeit. In ähnlicher Weise kann die Inszenierungsentscheidung wirken, den Bundesverteidigungsminister de Maizere ausgerechnet die Passage aus dem biblischen Text 1 Könige 19 lesen zu lassen, die von der Selbstabrüstung Gottes in seiner Begegnung gegenüber den Menschen erzählt – vom Gewittersturm hin zum sanften Wehen.

In der Inszenierung dieses Gottesdienstes sind zugleich weitere Gruppierungen mit unterschiedlichen Interessen beteiligt – und ich möchte die Hypothese vorschlagen, dass die teilweise gegenläufigen Botschaften dieses Gottesdienstes insgesamt durch das Zusammenwirken verschiedener Intentionen zustande kommt, deren Vermittlung und Ausgleich, anscheinend auch deren verantwortliche Reflexion im Vorfeld dieser Gesamtinszenierung zu wenig gelungen scheint. Der Militärpfarrer und die Soldaten mit ihren Ehefrauen, das uniformierte Brass-Ensemble und der Männerchor repräsentieren nach meiner Wahrnehmung die vor Ort präsenten Perspektiven.

Hier geht es ausschließlich um die Binnenwahrnehmung und seelsorgerliche Zuwendung zu den Lebensproblemen der Soldat/innen im Einsatz und ihrer Familien vor Ort, es geht zugleich darum, dass die musikalischen Beiträger/innen – oft mit zu wenig ausgeprägter Achtung des liturgischen Gesamtablaufes und der emotionalen Atmosphäre der Sprechakte – in dem vom Fernsehen ausgestrahlten Gottesdienst berücksichtigt werden und möglichst breit vorkommen sollen. Auf dieser Ebene kommt es deshalb zugleich zu Einschränkungen der Wahrnehmungsperspektiven und zu Brüchen und fehlender atmosphärischer Bezogenheit insbesondere in den musikalischen Beiträgen des Brass-Ensembles. In den Sprechakten von Gottesdienst-Akteuren auf dieser Ebene gerät Elia angesichts seines Zusammenbruches nach dem von ihm verübten Massaker schlicht zu einem Menschen, der nicht mehr weiterkann, auf dieser Ebene wird die ausdrückliche Bekenntnisgebundenheit dieses christlich-evangelischen Gottesdienstes nicht artikuliert und damit ausgelassen, auf dieser Ebene fehlt im Fürbittengebet die Bitte für die Feinde, für Angehörige anderer Religionen und für Religionsfrieden, auf dieser Ebene werden emotional dichte Sprechakte von Sorge, Angst, inniger Freude und Verunsicherung durch lockere Weisen von Reinhard Mey bis John Denver weggeblasen, und der Männerchor darf anscheinend vor allem deshalb minutenlang singen, weil er nun mal da ist und geübt hat; ein anderer Sinn, die Gemeinde an den in der Liturgie eigentlich vorgesehenen Stellen nicht zu einer „Antwort mit Gebet und Lobgesang“ zu Wort kommen zu lassen, wie Martin Luther dies in seiner Torgauer Formel formuliert hatte, ist jedenfalls für mich schwer zu erkennen.

Schließlich sind da noch die Fernseh-Leute des ZDF, Regie, Bildregie und Kamera, die eindrückliche und sprechende Bilder von Köln-Wahn brauchen, deshalb die Schwenks über den Platz, deshalb vor allem die penetrante Ins-Bild-Setzung des Militärflugzeuges mit seinem Militärkreuz, dessen Dominanz gegenüber dem gottesdienstlichen Kruzifix zumindest zu wenig kalkuliert und den Fernsehleuten in ihrer Brisanz nicht bewusst ist, im problematischeren Fall die ausdrückliche Intention verfolgt, die Eigensinnigkeit der Symbolik eines christlich-evangelischen Gottesdienstes durch militärische Symbole zu übermalen.

In der Gesamtbewertung dieser medial vermittelten Gottesdienstinszenierung komme ich – leider – zu dem Urteil, dass das Risiko dieser „riskanten Liturgie“ nicht gut gelöst wurde und damit trotz sehr gut gelingender Einzelsprechakte, insbesondere der Predigt und der Lesung, im ganzen misslungen ist. Unter christlich-evangelischer Perspektive ist das Fehlen von Bekenntnis und Fürbitte für die Perspektiven der Anderen einschließlich der Feinde eine Unterbetonung von Inhalten, die gerade in dieser Situation – Beteiligung deutscher Soldaten an einem Krieg – im Zentrum stehen müssen. Unter zivilreligiöser Perspektive ist die Aufgabe, die Intentionen von Menschen verschiedener religiöser und weltanschaulicher Orientierungen, von staatlichen und religiösen Repräsent/innen in der gemeinsamen Perspektive eines Verfassungspatriotismus und der grundlegenden Zustimmung zum gemeinsam geteilten Gemeinwesen zur Geltung zu bringen, ebenfalls an der Stelle verpasst worden, wo das Bekenntnis der dominanten christlichen Religion nicht ausdrücklich gemacht und damit der Thematisierung durch Andere geöffnet wird, und wo das Gebet für die Anderen, die Feinde, in diesen militärischen Konflikten: für die religiösen und militärischen Gegner nicht gesprochen wurde. Am ehesten (bis auf die musikalischen Einsprüche) gelungen ist dieser Gottesdienste im Sinne einer seelsorgerlichen Hinwendung zu den Perspektiven der Soldat/innen und ihrer Familien – für eine riskante Liturgie eines Gottesdienstes zum Thema „Freiheit – am Hindukusch verteidigt“ ist dies – leider – zu wenig.