[Anmerkung Diese Infokasten steht genauso auch im Original]

Der evangelische Kirchenbund der ehemaligen DDR hat sich auf seiner jüngsten Synode im September in Leipzig gegen die Übernahme des bundesdeutschen Militärseelsorge-Vertrages ausgesprochen. Auch nach der angestrebten Einheit der Kirchen soll es "keine Ausweitung" des zwischen EKD und Bundesregierung 1957 geschlossenen Kontraktes auf die ost-deutschen Landeskirchen geben. Axel Noack, Pfarrer in Wolfen, Mitglied der Konferenz der Kirchenleitung des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) und in der Synode für die Kirchenprovinz Sachsen, begründet diese Haltung.


Noack, Axel: "Ja zur Militärseelsorge ist ein Blankoscheck in den Händen der Armee. Warum die evangelische Kirche in der ehemaligen DDR dem Bundesverteidigungsministerium nicht dienen will" 

Frankfurter Rundschau vom 7. November 1990, Seite 15

Mit deutlicher Mehrheit (ohne Gegenstimme, bei einer Enthaltung) hat die Synode des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR Mitte September einer möglichen Ausweitung des Militärseelsorgevertrages auf das Gebiet der Gliedkirchen in der DDR eine Absage erteilt. Im Beschluß der Bundessynode "Zum weiteren gemeinsamen Weg von Bund und EKD" heißt es: "Die Synode weiß sich an ihren Beschluß "Bekennen in der Friedensfrage" (1987) gebunden. Die Synode stellt fest, daß der Geltungsbereich des von EKD und Bundesregierung geschlossenen Militärseelsorgevertrages durch die Zusammenführung von Bund und EKD keine Ausweitung auf die Gliedkirchen des Bundes erfährt."

Der Militärseelsorgevertrag (=MSV) ist auch in den Gliedkirchen der EKD in der Bundesrepublik nicht unumstritten. Verschiedentlich machen Initiativen zu seiner Revision bzw. Kündigung von sich reden. Dennoch: In Deutschland West scheint innerkirchlich noch eine Mehrheit zu haben, was in Deutschland Ost so einmütige Ablehnung erfährt. Diese deutsch-deutsche Verschiedenheit läßt sich auch aus dem Votum der Gemeinsamen Kommission, die in Iserlohn bzw. Dresden schon zweimal über mögliche Konsequenzen aus dem MSV für die Vereinigung der beiden Kirchenbünde nachgedacht haben, heraushören: "Die Gemeinsame Kommission akzeptiert den einmütigen Wunsch der Gliedkirchen des BEK (=Bund Evangelischer Kirchen) auch auf Grund ihrer geschichtlichen Erfahrung den Auftrag zur Seelsorge an Soldaten in eigener Verantwortung wahrzunehmen und dafür eigene Formen zu entwickeln. Den Militärseelsorgevertrag wollen diese Kirchen nicht in Anspruch nehmen ... Die grundsätzliche Aussprache über Gestaltung und eventuelle Veränderungen der Militärseelsorge, soll nach der Zusammenführung der Kirchen weitergeführt werden." (Dresden, 12. September 1990).

Gehen die deutschen Protestanten an diesem Punkt also gespalten in die deutsche Einheit? Und vor allem: Wie ist diese unterschiedliche Option zu erklären, da doch vermutlich nicht davon auszugehen ist, daß in Deutschland Ost "Pazifisten" (im gebräuchlichen Wortsinn) dichter gesät sind als in Deutschland West?Im folgenden soll versucht werden, aus östlicher Sicht, diese West-Ost-Differenz  zu beleuchten. Dabei wird diese Sicht sehr stark subjektiv gefärbt sein müssen, da der MSV bei uns [in] all den friedensethischen Debatten der letzten Jahre nie Thema gewesen ist. Daß er möglicherweise einmal auch für uns Bedeutung erlangen würde, schien hierzulande völlig ausgeschlossen. Vorzeiten wurde da anders gedacht. Ein kurzer Rückblick soll das beschreiben.              

1. Rückblick

Im Jahr 1957, als die damals noch gesamtdeutsche EKD-Synode vor der Aufgabe stand den MSV zu ratifizieren, wurde Kritik am Vertragswerk vor allem im Westen Deutschlands geübt (Martin Niemöller, Hans-Joachim Iwand, Helmut Gollwitzer gehören zu den bekanntesten Kritikern). Die Synodalen aus der DDR haben dem Vertrag - soweit sich das heute feststellen läßt - alle zugestimmt. Das Zustimmungsgesetz zum Vertrag wurde mit 91 gegen 19 Stimmen bei 5 Enthaltungen angenommen.

Daß der Vertrag für die DDR und ihre Nationale Volksarmee keine Geltung erlangte, ist allein der deutlichen Ablehnung der DDR-Regierung geschuldet. Auch dieser Regierung war der Vertrag angeboten worden. Der damalige Verteidigungsminister Willy Stoph begründete die Absage in einem Schreiben an den Ratsvorsitzenden Otto Dibelius: "Angesichts dieser unterschiedlichen Entwicklung in den beiden deutschen Staaten ist der Versuch fehl am Platze, die Nationale Volksarmee mit der Westdeutschen NATO-Armee gleichzusetzen ... Bei dieser Gelegenheit darf ich ihnen auch mitteilen, daß meines Wissens bisher von keinem Angehörigen der Nationalen Volksarmee das Bedürfnis nach `Seelsorgerlicher Betreuung durch Wehrmachtspfarrer´ geäußert worden ist."

Formal konnte sich die DDR-Regierung außerdem noch auf den Umstand berufen, daß es in der DDR, im Unterschied zur BRD, noch keine Wehrpflicht gebe. (Sie wurde erst nach dem Mauerbau, 1962 eingeführt.)

Sofort nach Abschluss des MSV setzt von seiten der DDR-Regierung und der CDU (Ost) eine heftige Polemik gegen die EKD und ihre "NATO-gebundene" Leitung ein. Die kräftige Forderung auf Loslösung der Landeskirchen in der DDR von der gesamtdeutschen EKD nimmt hier ihren Ansatz. Bis zum Jahre 1969 haben die Kirchen diesem Ansinnen widerstanden, dann wurde der Bund der Evangelischen Kirchen gegründet. So gesehen wurde der MSV zum Anfang vom Ende der EKD.

Im Jahre 1958, in für die Kirchen sehr bedrängender Situation, kommt es zu einer Vereinbarung zwischen Regierung und Kirche, zum "Kommunique vom 21.7.1958". Dieses Kommunique war und bleib in den Kirchen der DDR umstritten. Ganz freiwillig haben die kirchlichen Vertreter damals nicht zugestimmt. In bezug auf den MSV enthielt es folgende Festlegung: "Der im Jahre 1957 zwischen der evangelischen Kirche (EKD) und der Deutschen Bundesrepublik abgeschlossene Militärseelsorgevertrag und dessen politische und staatsrechtliche Auswirkungen nahmen in den Beratungen einen breiten Raum ein. Nach längerer Erörterung dieser Frage erklärten die kirchlichen Vertreter, daß die Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik an diesen Vertrag nicht gebunden sind und daß der Militärseelsorgevertrag für die Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik und für deren Geistliche keine Gültigkeit hat."              

2. Diskussionslage

Seit 1957/58 ist die Diskussion nicht stehengeblieben. Das gilt für die Kirchen der Bundesrepublik wie der DDR. Besonderes Gewicht hat dabei die friedensethische Diskussion der achziger Jahre, die bei uns zu einem Grundsatzbeschluß "Bekenntnis in der Friedensfrage" führte.

Die jetzige Ablehnung des MSV durch unsere Synode geschah wohl noch sehr stark intuitiv. Ohne daß der Vertrag im einzelnen diskutiert worden wäre, schein ein deutliches Gespür dafür vorzuherrschen, daß er im Ansatz unserer bisherigen Friedensarbeit widerspricht. Eine gründliche theologische Auseinandersetzung mit dem MSV steht bei uns noch aus. Dafür scheinen z.Z. westliche Kommentatoren und auch einige Kirchenleute um so genauer zu wissen, weshalb der MSV in den Kirchen der DDR so eindeutige Ablehnung erfährt. Im wesentlichen sind es drei Gründe, die uns da bescheinigt werden:

a.) Wir hätten, so können wir hören, ein gestörtes, unnatürliches Verhältnis zu staatlicher Obrigkeit und damit zu staatlichen Institutionen. Dies sei aus unserer Geschichte der letzten vierzig Jahre heraus verständlich. Deshalb sei Nachsicht am Platze bis die "Staatsphobie" überwunden sei.

b.) Wir hätten keine praktische Erfahrung mit der Militärseelsorge. Unsere Ablehnung gälte eigentlich einem Zerrbild, das mit der Praxis der Militärseelsorge in der Bundeswehr nichts gemein hätte.

c.) Auf die Dauer könnten wir die "großartige Chance zur Volksmission und zum pastoralen Dienst an jungen Menschen" (so die Beschreibung von Bischof Binder) eigentlich nicht vertun.

Alle drei Argumente leben von der Hoffnung. Besserungsfähigkeit wird uns bescheinigt. Eine ganz andere, wesentlich deutlichere Sprache spricht der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU in einem internen Informationspapier mit dem Titel: "Evangelische Kirche in der DDR. Personen, Daten, Perspektiven." (Bonn, September 1990). Darin heißt es: "Der Protestantismus in der DDR ist sehr stark von [der] eher links und grün-alternativ orientierten Friedensdiskussion geprägt." Diese Friedensethik habe mit der bisherigen außen- und sicherheitspolitischen Linie des Westens und der CDU/CSU "nahezu nichts gemein". Von dieser friedenspolitischen Richtung würden die DDR-Kirchen "nur schwer abzubringen" sein.

Auf dem Hintergrund der stark pragmatischen bzw. mit parteipolitischer Schelte verbundenen Diskussion ist es gar nicht einfach, zu den wesentlichen, theologischen Gründen für die Ablehnung vorzudringen bzw. theologischen Erwägungen Gehör zu verschaffen. Wenigstens sollen hier die Themenbereiche benannt sein, an denen eine gründliche Aufarbeitung nicht vorüber gehen dürfte:              

3. Positionen

1. Richtig ist, daß uns praktische Erfahrung mit der Arbeit der Militärseelsorge in der Bundeswehr fehlt. Woher sollten wir sie auch haben? Mit fast ungläubigem Staunen hören wir kirchlichen Mitarbeiter aus der "Noch-DDR" von den vielfältigen Möglichkeiten, die Pfarrer in den Kasernen der BRD haben. Wir hören von den zahlreichen Angeboten von Rüst- und Freizeiten für Soldaten und Offiziere. Für uns waren Kasernen bisher nahezu Tabuzonen. So gesehen gibt der MSV den Kirchen breiten Spielraum und räumt ihr []Anmerkung: Müsste es nicht "ihnen" heißen?] große Freiheit ein. Niemand wird dies bestreiten wollen. Nur hat er eben einen entscheidenden Fehler: daß es ihn überhaupt gibt!

Er geht nämlich von einem grundlegenden, m.E. sehr gefährlichen Irrtum aus: Als ob es Aufgabe der Kirche und ihrer Leitung wäre, "Freiräume" für die Verkündigung des Evangeliums zu erstreiten bzw. auszuhandeln. Und als ob es Aufgabe des Staates wäre, Möglichkeiten für die Kirche "einzuräumen" oder zu "gestatten". Kirchen kann man von niemandem "gestatten" lassen wer sie ist und was sie ist. Die Freiheit ihrer Verkündigung gründet weder in "Freiheiten", die sie sich selber "herausnimmt", noch in den Freiräumen die ihr staatlicherseits gewährt werden. Wir in der DDR hätten Schiffbruch erlitten, wenn wir uns auf die uns "gestatteten Freiräume" selbst hätten zurückziehen wollen.

Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Ein beliebtes DDR-Thema war die "Veranstaltungsordnung". Immer wieder wurde von Staats wegen versucht der Kirche vorzuschreiben, welche "Veranstaltungen" als gottesdienstliche Handlungen gelten würden und welche wir polizeilich anzumelden hätten. Wären wir nach dem Gesetzestext verfahren, so wäre selbst eine Gemeindeversammlung, ein Jugendfasching, ja selbst eine Sitzung des Kirchenvorstandes anmeldepflichtig gewesen. Da konnte nicht gefeilscht oder ausgehandelt werden. Die Kirche mußte dem Staat grundsätzlich das Recht und die Fähigkeit absprechen, festlegen zu können, was eine "kirchliche Veranstaltung" ist. Ordnungsstrafen wurden uns dann allerdings öfter angedroht. Gezahlt haben wir selten.

2. Ein Ertrag der friedensethischen Diskussion der letzten Jahre ist für uns die Feststellung, daß das Bekenntnis zu Jesus Christus nicht indifferent gegenüber Wehr und Waffen ist. Eben: "Bekennen in der Friedensfrage."Die Freiheit der Verkündigung schließt die Freiheit zur Infragestellung von Armee, ihrer Bewaffnung und ihrer militärischen Strategien notwendig ein. (Die von unseren Kirchen vollzogene "Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung" ist dafür Beispiel.)

Solche Infragestellung wird im Zweifelsfall so weit zu gehen haben, daß sie aus militärischer Sicht als "Wehrkraftzersetzung" verstanden werden muß. Sie wird es in der Tat von Fall zu Fall auch sein müssen. Nun ist es ein Gebot der Redlichkeit der Armee gegenüber, ihr nicht zuzumuten, potentielle Wehrkraftzersetzer in ihren eigenen Reihen zu tragen und auch noch zu besolden.

Sollte allerdings die Armee ihrerseits erhoffen, durch geregelte Anbindung kirchlicher Arbeit an die Armee ein gewisses Maß an der Auswahl möglicher Einflüsse zu haben und den wehrkraftzersetzenden Schaden so von vornherein wenigstens begrenzen zu können, dann ist das der Kirche nicht zuzumuten.

3. In evangelischer Tradition kommt der Gewissensentscheidung des einzelnen Christen hohe Bedeutung zu. Gerade in der komplizierten Frage der Stellung des Christen zu Armee und Wehrdienst haben die Kirchen immer wieder auf den notwendigen Entscheidungsspielraum für die Gewissensentscheidung hingewiesen. In der praktischen kirchlichen Arbeit folgte daraus, daß die Kirche sich einsetzen muß für Wehrdienstverweigerer und Soldaten im gleichen Maße. Der MSV deutet allerdings das gebotene "Ja" zu der Entscheidung eines Christen für den Dienst mit der Waffe in ein "Ja" der Kirche zur Armee als Institution um. Diesen Blankoscheck einer grundsätzlichen Bejahung von Armee kann eine Kirche nach all den Erfahrungen in diesem Jahrhundert so einfach nicht mehr ausstellen.

Jeder Vertrag bindet die Vertragspartner. Der MSV stellt aber eine Bindung besonderer Art dar: Mit ihm geht die Kirche eine "Grundbindung" an die Armee ein, die der Freiheit ihrer Verkündigung gefährlich werden kann. Es kann heute keine grundsätzliche Bejahung von Armee und Kriegsdienst mehr geben. Wir brauchen die Freiheit zum konkret unterscheidenden Handeln. Wir werden dort Ja sagen, wo wir es können. Aber auch dort Nein sagen, wo wir dies tun müssen. Die Entscheidung ist eingeschränkt auf dem Hintergrund einer grundsätzlichen Bejahung von Armee, wie sie der MSV darstellt.

Auch dazu ein Beispiel: In den Jahren 1984/85, unsere Kirchen waren im Lutherjahr besonders liebevoll gehätschelt worden, gab es unter uns eine Diskussion darüber, ob wir als Kirche im Bezug auf die Staat-Kirche-Beziehungen nicht von einem "Grundvertrauen" sprechen sollten. Dazu ist es nicht gekommen. Wir hätten uns nämlich der Freiheit zum konkret unterscheidenden Handeln beraubt.

Ergänzung: Für die Kirchen in der DDR verschärft sich das Problem außerdem noch deshalb, weil wir seit 1965 der Meinung sind, nicht mehr von einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit der Entscheidung für oder gegen den Waffendienst ausgehen zu können. In der Handreichung zur Seelsorge an Wehrpflichtigen (1965) wird die Wehrdienstverweigerung als ein "deutlicheres Zeichen des gegenwärtigen Friedensgebotes unseres Herrn" beschrieben. Und in dem Beschluß "Bekennen in der Friedensfrage" heißt es dazu: "Jeder Christ, der vor die Frage des Wehrdienstes gestellt ist, muß prüfen, ob seine Entscheidung mit dem Evangelium des Friedens zu vereinbaren ist. Wer heute als Christ das Wagnis eingeht, in einer Armee Dienst mit der Waffe zu tun, muß bedenken, ob und wie er damit der Verringerung und Verhinderung der Gewalt und dem Aufbau einer internationalen Ordnung des Friedens und der Gerechtigkeit dient. Die Kirche sieht in der Entscheidung von Christen, den Waffendienst oder den Wehrdienst überhaupt zu verweigern, einen Ausdruck des Glaubensgehorsams, der auf den Weg des Friedens führt."

4. Zu den harten Fragen, vor die sich die Kirchen in den "entwickelten" Industrienationen gestellt sehen und die uns auf ökumenischen Konferenzen mehr oder weniger deutlich entgegentreten, gehört die folgende: Wie vereinbart ihr euren Reichtum und eure wohlhabenden Strukturen mit der Verkündigung der Botschaft, die die gute Nachricht für die Armen und das Gericht über die Reichen ansagt. Ist euer äußeres Erscheinungsbild nicht geradezu eine "Gegenpredigt" zu eurer Verkündigung?

Der Bericht der Konferenz der Kirchenleitungen, der der Bundessynode vorgelegt wurde, greift dieses Thema auf: "Die Frage: wie `predigen´ Strukturen und Rechtsgestaltungen im kirchlichen und gesellschaftlichen Kontext, und wie verhält sich diese `Predigt´ zu dem Zeugnis, dessen Ausrichtung durch solche Strukturen und Rechtsgestaltungen doch nur gefördert und ermöglicht werden soll, muß immer wieder neu entschieden und beantwortet werden. Zudem war bei allen Entscheidungen zu bedenken, wie sie auf die Schwesterkirchen in der Bundesrepublik und ihre Stellung sich auswirken."

Vor genau diese Frage stellt auch der MSV: Predigen nicht die Strukturen der Einbindung kirchlicher Arbeit in die Bundeswehr ein anderes Evangelium als es dem Verkündigungsauftrag der Kirche entspricht, bzw. wie es die Pfarrer als Militärseelsorger selbst vertreten wollen?

Seelsorge an Soldaten hat es - so jedenfalls meine eigene Erfahrung - nur in den seltensten Fällen mit der "Friedensfrage" zu tun. Es geht vielmehr um ganz menschliche Probleme, die der besonderen Situation des Soldaten entspringen, bzw. darin ihre Zuspitzung erfahren. Natürlich ist der Wunsch verständlich, der Seelsorger möchte der Lebenssituation des Soldaten möglichst nahe sein und Anteil an seiner Lage haben. Bleibt aber zu erwägen, mit welchen Mitteln diese Nähe erreicht wird. Nicht jedes Mittel ist eben recht, um das gute Ziel zu erreichen. Den Grundsatz christlicher Ethik, daß der Zweck nicht die Mittel heiligt, wird niemand bestreiten wollen.

Nun mag es im Einzelfall zu wirklichen, nicht lösbaren Konflikten kommen. In finsteren Diktaturen z.B. Kann es schon denkbar sein, daß Kirche gezwungen ist, um der Menschen willen, sich selber in Bindungen zu begeben, die ihr eigentlich verwehrt sind. Ich behaupte: Mit dem MSV hat die Kirche sich ohne Not in eine Bindung begeben, die die Klarheit ihres Zeugnisses verdunkeln muß. Die "großartige missionarische Chance" allein kann diesen Schritt niemals rechtfertigen. Im demokratischen Rechtsstaat, der auch den Soldaten als "Bürger in Uniform" ansieht, besteht nicht die Nötigung zu einem MSV.              

4. Alternative

Sehr berechtigt ist die Frage, wie wir uns in den Kirchen der "Noch-DDR" denn die Seelsorge an Soldaten vorstellen, wie also "eigene Formen" gefunden werden können.

Die Antwort ist im Grunde sehr einfach: Seelsorge an Soldaten sollte in großer Nähe zu Kirchengemeinden in Standortnähe erfolgen. Soldaten waren uns als "Gemeindeglieder auf Zeit" schon immer willkommen. Das schließt eine besondere Beauftragung von kirchlichen Mitarbeitern für die Seelsorge an Soldaten nicht aus, solange sie Mitarbeiter der Kirche bleiben und nicht Armeeangehörige werden.

Für die praktische Arbeit werden wir uns gern Anregungen aus der Militärseelsorge der Bundesrepublik holen. Wichtig ist dabei nur, daß wir dem Verteidigungsministerium gegenüber nur unser Wünsche und Bitten vortragen können. Werden sie uns gewährt, werden wir - soweit es in unseren Kräften steht - unseren Dienst an den Soldaten tun. Werden sie uns versagt, werden wir dennoch fröhlich unsere Möglichkeiten ausschöpfen. Wenn wir in den vergangenen vierzig Jahren etwas gelernt haben, dann dies: mit Beschränkungen und Behinderungen zu leben und kirchliche Arbeit zu tun.

Summa summarum: Möge der evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU darin recht behalten: Von ihrer friedenspolitischen Richtung werden die Kirchen der DDR "nur schwer abzubringen" sein. Das Wort des Arbeitskreises in Gottes Ohr.

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Anmerkungen der "Ökumenischen Initiative zur Abschaffung der Militärseesorge":

  1. Der "Infokasten" ganz oben steht wörtlich so auch in der Frankfurter Rundschau, bei diesem Artikel.
  2. In dieser Abschrift wird die Rechtschreibung und Zeichensetzung des Originals beibehalten.
  3. Nur an zwei Stellen haben wir das Wort [in] bzw. [der] eingefügt; beide Male gekennzeichnet durch eckige Klammern.
  4. Kursiv gesetzte Wörter sind auch im Original kursiv.